Neues von der Bock
Von ihr kann man alles haben, nur kein Nein. Die Flüchtlingshelferin Ute Bock ist im wahrsten Sinn grenzenlos. Ihre Sozialarbeit: der ganz normale Wahnsinn. Alltag in Wien. | aufgezeichnet von Gunnar Landsgesell
Frau Bock hatte im Dezember 2013 einen Schlaganfall. Körperlich geht es der Flüchtlingshelferin mittelprächtig, sie sitzt im Rollstuhl und macht die Übungen der Physiotherapeutin mit, weil ihr nichts anderes übrig bleibt. Geduld ist gefragt. Ihren Humor hat sich Frau Bock bewahrt. Eine Mitarbeiterin fragt, ob sie den Besucher wiedererkennt. Frau Bock antwortet mit gespieltem Ingrimm: Ich hab’an Schlaganfall g’habt, aber deswegen hab’ich noch kein Alzheimer, und lacht.
Mich hat’s ja nicht so schlimm getroffen wie andere. Im Spital habe ich Kinder mit sieben, acht Jahren gesehen mit einem Schlaganfall. Ich hab gar nicht gewusst, dass es sowas gibt. Die Rettung hat einen Buben hergetragen und ins Bett gelegt, sodass man ihn gleich beobachten kann. Grauenhaft. Und die vielen Leut’, die sich kränken, weil sie allein sind, das ist nicht schön. Wenn ich jetzt zur Rehab wieder ins Spital muss, fürcht’ ich mich schon davor, dass man alles mitkriegt, wie’s den anderen geht. Am Sonntag werd’ ich in der Früh munter und hör daneben im Zimmer jemand raunzen. Ich hab nicht verstanden, was er sagt, aber ich hab das Gefühl, es tut ihm was weh. Also ruf ich die Schwester, dass sie einmal nachschaut. Sie kommt zurück und sagt: „Na ja, er kränkt sich halt, weil er keinen Besuch gehabt hat.“ Die haben mich alle vergessen, keiner interessiert sich für mich, so ungefähr war der Text. Darauf sag ich: Jetzt gehen S’ hinüber und sagen, des ist überhaupt ned wahr. Seine Familie wird in der Früh munter und denkt sich sicher: Gott sei Dank ist der Alte noch im Spital (lacht). Aber im Ernst, ich weiß ja nicht, was wirklich mit seiner Familie ist. Ich kann mich aber noch erinnern, wie mein Vater im Spital war. Wir haben damals gewusst, der kann dort nicht einfach davonrennen – weil er daheim halt so schwierig war.
Noch die Alte
Aber das Schlimmste ist, dass es so viele Junge gibt, denen es so schlecht geht. Ich selbst muss ja nimmer was weiß ich was machen. Schreiben kann ich. Und ich hab grad festgestellt, dass ich noch weiß, wie ich heiß’ (lacht). Die Papiere kann ich auch noch ausfüllen. Sicher, ein bissl Schmerzen hab ich schon, aber nicht umwerfend. Es tut halt der Fuß weh, ich war auf der linken Seite von oben bis unten gelähmt. Am Anfang hab ich auch nicht reden können, das ist mir gar nicht aufgefallen. Na ja, ein bisserl was möchte ich schon noch erledigen, bevor mich der Teufel holt. Ich möchte, dass das Haus in Ordnung ist. Und ich will eine Notschlafstelle einrichten. Weil wenn Leute, Mütter mit Kindern, am Abend anläuten und nicht wissen, wo sie übernachten sollen, das ist nicht gut. Eine Notschlafstelle kostet nicht viel, das ist nur Arbeit. Aber dazu müsste ich zumindest wieder gehen können. Das Haus ist nicht barrierefrei, mit einem Rollstuhl kommt man die kleine Treppe im Eingang nicht hoch. Ich hab da hinten so einen Stock, Sie wissen schon, mit die drei oder vier Hax’n. Vielleicht montiert mir jemand da draußen am Gang so eine Stange, wie’s die im Spital gibt, dann kann ich dort an der Wand entlang gehen. Und wenn ich von der Rehab zurückkomm’, dann werd’ ich eh schon fliegen können von der ganzen Behandlung. Oder ich trainier solang das Gehen, bis ich Stiegen auch wieder steigen kann. Oder? Gut.
Ein bisserl herrichten
Dem Haus fehlt jetzt so eine Bissgurn, wie’s ich bin. Letztens sagt mir einer, der Nachtdienst hat: Es ist noch ein Besucher im Haus, der will halt ned gehen. Und die Kinder, die machen einen Lärm. Stimmt. Ich bin raus auf den Gang und hab einmal raufgeplärrt, darauf war’s totenstill. Wie die Ameisen haben sie sich verkrochen (lacht). Na ja, zu tun is immer was. Letztens ruft mich eine Frau an, die sagt, ich hab in meinem Haus zwei Wohnungen frei, ich würd Ihnen die zur Verfügung stellen. Ein bisserl herrichten müsste man sie halt, auch was das Wasser und den Strom betrifft. Das Sozialamt wollt’ sich nicht an den Kosten beteiligen. Ich hab sie natürlich genommen. Jetzt hab ich drei Familien dort wohnen.
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