Keine Demokratie ohne Muslime
HANDLUNGSBEDARF TEILHABE. Die politischen Versäumnisse bei der Anerkennung von MuslimInnen treffen nicht nur diese selbst, sondern unsere gesamte Demokratie.
Kommentar von Alexander Pollak
Auch auf dreimaliges Nachfragen von ZIB2-Moderator Armin Wolf wollte Bundeskanzler Werner Faymann den Satz „Der Islam gehört zu Österreich“ nicht aussprechen. Stattdessen sagte er: „Der Islam ist eine Religion einer anerkannten Glaubensgemeinschaft in Österreich. Man kann sich aussuchen, welche Religion man hat. Man kann sich auch aussuchen, überhaupt keiner Religion anzugehören. Und mir ist es wichtig, dass der Respekt sich in der Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften dem Staat gegenüber ausdrückt, dass aber die Rechtsstaatlichkeit, die Wertehaltung einer Demokratie völlig außer Frage steht.“
Nichts von dem, was Faymann sagte, war falsch. Die Betonung von Rechtsstaatlichkeit als übergeordnetes Prinzip ist ein wichtiger Punkt. Und dennoch hätte der Kanzler andere Worte finden müssen. Es wäre ein Gebot der Stunde gewesen, ein klares Statement der Anerkennung der MuslimInnen in Österreich abzugeben. Er hat diese Gelegenheit fahrlässig verstreichen lassen.
Auch Integrationsminister Sebastian Kurz hat sein ansonsten gut ausgeprägtes politisches Gespür im Stich gelassen, als es um das Islamgesetz ging. Jahrelang wurde mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft verhandelt, ohne zu merken, dass diese abgekoppelt von der muslimischen Basis agierte. Als dann plötzlich Widerstand dieser Basis aufkeimte, hielt die Regierung nicht inne, sondern peitschte das Gesetz mit panischer Eile durch den Ministerrat. Ein verheerendes Signal.
Wenige Wochen darauf eröffneten die Landeshauptleute Franz Voves und Hans Niessl im Gefolge der Anschläge von Paris eine Debatte über die Bestrafung von „Integrationsunwilligkeit“. Auf der Suche nach „griffigen“ Beispielen für „Unwilligkeit“ wurde mit dem Finger auf muslimische Buben und Mädchen und deren Eltern gezeigt. Es wurde suggeriert, dass MuslimInnen erst beweisen müssten, dass sie in Österreich überhaupt eine Existenzberechtigung haben.
Anerkennung oberste Priorität
Tatsache ist jedoch: MuslimInnen sind aus Österreich nicht wegzudenken. Österreich ohne MuslimInnen wäre nicht das Österreich, wie wir es kennen und schätzen. Wer hier lebende Menschen allein wegen ihrer Religionszugehörigkeit angreift, greift unsere Gesellschaft als Ganzes an. Das hätte die österreichische Politik längst klarstellen müssen. Dass sie das nicht getan hat, ist ein schweres Versäumnis.
Verstärkt wird es durch eine undifferenzierte Medienberichterstattung, die vielfach von „dem Islam“ als Einheit spricht. Dass es unterschiedlichste Strömungen im sehr breiten islamischen Spektrum gibt, wird ignoriert. Dieselben Medien kämen nie auf die Idee, die evangelische Kirche für das katholische Zölibat verantwortlich zu machen. Oder alle ChristInnen oder auch nur alle KatholikInnen aufgrund der Fälle von sexualisierter Gewalt durch katholische Priester unter Generalverdacht der Ausübung sexualisierter Gewalt zu stellen. Was ist also zu tun? Die Anerkennung von MuslimInnen als gleichberechtigte BürgerInnen in Österreich muss zu einer politischen Priorität der Bundesregierung und der Landesregierungen werden. Die antimuslimischen Kampagnen, die es von einzelnen politischen Gruppierungen weiterhin geben wird, müssen scharf zurückgewiesen werden.
Darüber hinaus braucht es in der Öffentlichkeit eine differenzierte Sicht auf unterschiedliche Strömungen, die sich auf den Islam berufen. Debatten über Fundamentalismus und religiöse Gewaltgruppierungen sind so zu führen, dass sie diejenigen vereinigen, die solche Strömungen ablehnen, anstatt, wie bisher oftmals der Fall, Menschen nach Herkunft und Religionszugehörigkeit auseinanderzudividieren.
Allen muss klar sein: Ohne volle Anerkennung und Teilhabe der hier lebenden MuslimInnen ist Österreich keine funktionierende Demokratie.
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