Viel in Bewegung
RUBRIKEN. Der Filmemacher Gerald Igor Hauzenberger arbeitet nach seinem vielbeachteten Dokumentarfilm „Der Prozess“ an einem neuen Projekt: In „Last Shelter“ werden die Vorgänge rund um die Refugee-Bewegung beleuchtet.
SPOTLIGHT | Text: Gunnar Landsgesell
In der Votivkirche bei null Grad zu schlafen, das hat mir damals auch geholfen, von dem runterzukommen, was mich damals bewegt hat“, erzählt Gerald Igor Hauzenberger. Das war um die Jahreswende 2012/2013, der Filmemacher hatte sich zu jenen Flüchtlingen gesellt, die zuvor in einem aufsehenerregenden Marsch von Traiskirchen nach Wien gezogen sind. Es ging darum, Missstände anzuprangern und für eigene Rechte aufzutreten. Als Hauzenberger am nächsten Morgen erwachte, fand er ein seltsames Szenario vor, er erinnert sich: Motive der Türkenbelagerung von den Kirchenfenstern projizierten sich durch die Morgensonne auf die schlafenden Flüchtlinge. Auch ein Hakenkreuz tauchte auf, nach 1945 hatte man mit den bunten Glasfenstern einiges an historischen Ereignissen in der Kirche verewigt. Etwa Franz Jägerstätter, der sich dem NS-Regime widersetzte. Dem Regisseur erschien die Votivkirche mit einem Mal als filmischster Raum überhaupt: Österreichische Geschichte und Flüchtlinge überlagerten sich auf eine Weise, die Hauzenberger an Foucaults Gedanken der Heterotopie erinnerten: einen Raum, in dem die normale symbolische Ordnung verloren wurde und in eine neue übergegangen ist. Seit damals arbeitet Hauzenberger an seinem jüngsten Dokumentarfilm mit Arbeitstitel: „Last Shelter“. Es geht um die erste Flüchtlingsbewegung in Österreich, die sich offen artikuliert hat und damit auch ein gewisses Risiko eingegangen ist. Wer sich als politisches Subjekt exponiert, so die Sorge der AktivistInnen, der könnte auch seine geringen Chancen auf Asyl verspielen. Mittlerweile wurden tatsächlich einige der ursprünglich 65 größtenteils aus dem Grenzland von Pakistan und Afghanistan kommenden Flüchtlinge abgeschoben. Für jene, die noch in Österreich sind, gab es aber bislang vielfach positive Entscheide. Das sei bemerkenswert, so Hauzenberger, denn für Flüchtlinge aus Pakistan lag die Anerkennungsquote zuvor bei lediglich einem Prozent. Auch wenn sich die AktivistInnengruppe in Österreich wieder zerstreut und auch einige interne Gräben hinterlassen hat, setzen sich Proteste auf europäischer Ebene fort. Hauzenberger war dabei, als im Juni Flüchtlinge in Brüssel auf die Straße gingen. Etwa 400 Menschen waren am Ende versammelt, sie waren über mehrere Wochen aus verschiedenen europäischen Städten auf ihrem „Freedom March“ ins Zentrum der EU gewandert. Dass mit den Refugees auch das Asylsystem in Österreich ins Zentrum rückt, war Hauzenberger klar. Zwischen Anteilnahme für die betroffenen Menschen und der nötigen Distanz sei es kein leichter Weg: „Ich sehe mich natürlich solidarisch, mich interessieren die Menschen in dieser Situation, in der sie sehr angreifbar sind. Ich möchte aber auch keinen Film machen, der so aussieht wie ein Klingelbeutel der Solidarität, wo das Kino so politisch wird, dass es nur noch um eine bedingungslose Haltung geht.“
Erfahrung mit einem ebenfalls sehr politischen Projekt konnte der 1968 in Oberösterreich geborene Regisseur bereits mit seinem Film davor machen. „Der Prozess“ folgte dem höchst umstrittenen TierschützerInnenprozess in Wiener Neustadt und machte einige der Schwachstellen des Polizei- und Justizsystems sichtbar. Wie verkorkst die langen Ermittlungen und das Verfahren gegen die Angeklagten waren, zeigte sich, als der Prozess neuerlich aufgerollt wurde. Innerhalb weniger Tage standen die Freisprüche fest. Dass eine kritische Medienöffentlichkeit und auch sein Film Systemänderungen stimuliert haben, davon ist Hauzenberger überzeugt. Sowohl in der Gesetzgebung wie auch in der Wahrnehmung gegenüber der Zivilgesellschaft habe sich einiges getan. Wie die derzeit noch laufenden Verfahren gegen jene Flüchtlinge, gegen die die Polizei den Vorwurf der Schlepperei erhoben hat, ausgehen, ist offen. Die Anklage ist bislang laut Prozessbeobachtern wenig überzeugend. Der politische Dokumentarfilm „Last Shelter“ dürfte bis Jahresende fertiggestellt sein.
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