„Solange es sich rechnet, bettle ich“
UMVERTEILUNG. Nur unter Mühen lernt das reiche Salzburg mit gut hundert BettlerInnen klarzukommen. Kriminalisierung konnte die Notreisenden bisher nicht aus dem barocken Festspiel-Stadtbild drängen. Nun gibt es erste Anzeichen für Menschlichkeit. Text: Wilhelm Ortmayr
Auf einmal waren sie da. Nicht über Nacht, aber doch zu plötzlich für die Salzburger Gesellschaft erreichten die BettlerInnen auch die Festspielstadt. Seit Längerem schon hatten Fachleute darauf aufmerksam gemacht, dass das europaweite Phänomen der Armutsmigration und des „Notreisens“ auch Salzburg erreichen werde, 2012 war es dann so weit. Sukzessive tauchten mehr BettlerInnen im Stadtbild auf, mischten sich mehr Ost- und SüdosteuropäerInnen unter die illegal Arbeit Suchenden beim Hauptbahnhof, sah man öfter StraßenmusikantInnen, die keine Mozarteum-StudentInnen waren.
Die Irritation war groß. Und sie ist es immer noch. Graz und Wien waren deutlich früher als Salzburg mit dem „Bettlerproblem“ konfrontiert – auch hier gab und gibt es eine lebhafte öffentliche Diskussion darüber, wie eine reiche, zivilisierte Gesellschaft den Ärmsten dieses Kontinents zu begegnen habe. Doch kein Vergleich zu der Feindlichkeit und dem Entsetzen, mit dem man in Salzburg nicht mal bereit war, darüber nachzudenken, wie man mit den Menschen „umzugehen“ habe – sozusagen als Mindestmaß des Anstands. Stattdessen rief man die JuristInnen zu Hilfe, sie mögen Winkelzüge und Tricks erfinden, mittels derer man das „Gesindel“ rechtens aussperren könne aus der schönen Stadt. Und man tat, was dazu für notwendig erachtet wurde: die BettlerInnen zu kriminalisieren.
Nach 16 Monaten und gut 4.000 Polizeikontrollen hat sich zwar von all dem, was „Kronen Zeitung“, FPÖ und große Teile der ÖVP den Notreisenden vorwerfen, so gut nichts bewahrheitet – die Vorurteile halten sich dennoch hartnäckig. Und das obwohl Salzburgs Exekutive ausdrücklich dementiert, dass die Armutsmigration aus Rumänien, Bulgarien und der Slowakei „mafiose Strukturen“ zeige. Laut Polizeisprecher Michael Rausch habe man weder Hinweise auf „dunkle Hintermänner, die alle Einnahmen abkassieren“, noch könne von „kriminellen Zwangsreisen“ gesprochen werden. Es bestehen zudem so gut wie keine Zusammenhänge zwischen den Notreisenden und kriminellen Gruppen, die ebenfalls aus Ost- und Südosteuropa stammen.
Organisiert sein ist strafbar
Dennoch hat es in der Salzburger Innenstadt seit März 2013 etwa 300 Strafanzeigen gegen bettelnde Menschen gegeben. Anfangs lauteten die Tatbestände mitunter noch „Betteln mit Minderjährigen“ und „Vortäuschen einer Behinderung“ und „aggressives Betteln“ – mittlerweile geht es fast nur noch um „organisiertes Betteln“. Auch das verbietet das Salzburger Sicherheitspolizeigesetz.
Menschenrechtsaktivisten wie Josef Mautner von der Katholischen Aktion kritisieren, wie dieser „Gummiparagraf “ in der Praxis angewendet wird. Ein Ehepaar geht in die Stadt zum Betteln und bespricht dabei, wer sich an welche Straßenecke stellt. Oder: Drei Roma-Frauen mittleren Alters suchen Bettelplätze, die in Sichtverbindung zueinander liegen – aus Gründen der Sicherheit und zum eigenen Schutz. Für die Polizei ist all das „organisiertes Betteln“, und schon beginnt das Strafverfahren: Meist nehmen die BeamtInnen den BettlerInnen sofort ihre Tageserlöse ab (die damit verfallen sind), und falls die Angezeigten ein paar Wochen später, nach Ausstellung des Strafbescheides, neuerlich in der Stadt angetroffen werden, wird eine Geldstrafe fällig. Die bewegt sich zwischen 50 und 100 Euro, der Erlös einer guten Bettelwoche. Andernfalls drohen ein paar Tage Gefängnis.
„Einander zu kennen, ist oft schon zu viel“, klagt Valej, ein Mittfünfziger aus der Gegend von Sibiu, der aussieht wie fast 70. In jungen Jahren war er Bauarbeiter, aber seit über zwei Jahrzehnten hat er keinen fixen Job mehr gehabt. Mittlerweile sind seine Chancen sogar am Arbeitsstrich schlecht. Junge Männer mit Ausbildung werden eher genommen. Von den 30 bis 50 Euro Sozialhilfe, die er in Rumänien monatlich bekommt, können weder er noch seine Frau leben. In Salzburg verdiene er bettelnd das Dreifache. Nach Abzug aller Kosten. „Aus meiner Gegend sind einige hier“, sagt Valej, „das macht es leichter, weil man einander helfen kann und weil reden gut tut. Aber wenn die Polizei sieht, dass wir uns absprechen oder dass ich Geld für andere aufbewahre, gibt’s Probleme.“
Verwandt sein, in Gruppen leben, organisiert sein, aufeinander achten – was die Sozialarbeit als positiv betrachtet, kann für die ArmutsmigrantInnen zum Fallstrick werden. Das beginnt bei der Reise nach Österreich. Erfolgt sie „organisiert“, sprich kostengünstig, kann das in Salzburg zum Polizeifall werden. Ist sie hingegen teuer, wollen Salzburger JuristInnen daraus demnächst eine weitere Hürde bauen, indem sie „gewerbliches Betteln“ per Gesetz verbieten. Nach dem Motto: Wer viel investiert, bettelt gewerblich. Die meisten Notreisenden entgehen dem aber sowieso. Sie fahren schwarz nach Österreich – mit der Bahn.
Wer sie sind, wie sie strukturiert sind und warum sie kommen – all das ist seit einem Jahr sehr gut dokumentiert dank einer (von Teilen der Salzburger Öffentlichkeit hartnäckig ignorierten) Studie des Sozialforschers Heinz Schoibl. Großteils kommen die Notreisenden aus Rumänien, viele sind Roma, einige stammen aus der Slowakei und Bulgarien. Vertreten sind alle Altersgruppen, alle Zusammensetzungen und Familienformen. Nahezu alle sind minderqualifiziert, einige sogar AnalphabetInnen. Männer versuchen teilweise illegal zu arbeiten und betteln nur, wenn das nicht gelingt. Frauen verdienen Geld in erster Linie durch Betteln. Straßenprostitution kommt vor, ist aber die Ausnahme. Nur eines haben alle gemeinsam: bitterste Not.
Es bestätigt sich somit auch in Salzburg, was ExpertInnen seit Jahren betonen: Solange die Not und Perspektivenlosigkeit in den Herkunftsländern groß ist, sind die ArmutsmigrantInnen nicht aufzuhalten. Doch bis auch die Mozartstadt das mehrheitlich begreifen gelernt hat, ist viel Zeit vergangen. Aus mehreren Gründen:
In einer Stadt, in der es schon immer verdächtig war, von weit weg und nicht wohlhabend zu sein, konnten die BettlerInnen nur als Affront verstanden werden. „Geradezu ein Gegenentwurf zum schönen und reichen Salzburger Festspieleuropa, sozusagen geschäftsschädigend“, formuliert Armutsexperte Robert Buggler.
Verschärft wurde die Debatte durch den Umstand, dass das zunehmende Auftreten der BettlerInnen im Stadtbild ausgerechnet mit dem Beginn des Gemeinderatswahlkampfs zusammenfiel. Die Armutsmigration schwelte ein Jahr lang als Wahlkampfthema, immer wieder angefacht von Boulevardmedien. Dagegen konnten auch prominente Mahner und AktivistInnen für mehr Menschlichkeit wenig ausrichten. So etwa der neue Erzbischof Franz Lackner, der als Zeichen die Hälfte der Kollekte von seinem Antrittsgottesdienst für ein Bettler-Winternotquartier gespendet hat.
„Für zusätzliche Polarisierung sorgte und sorgt, dass das städtische Ordnungsamt in der Hand eines ÖVP-Politikers ist, der als Hardliner gilt“, fügt Josef Mautner von der Katholischen Aktion hinzu. „Das bringt auch für Salzburgs Polizei viel Druck.“ Die einen würden jede Anzeige gegen BettlerInnen für willkürliche Schikane halten, die anderen forderten eine so engmaschige Auslegung der Gesetze, dass dies de facto einem Bettelverbot gleichkomme.
Es kommt Bewegung in die Debatte
Nun aber sind die Wahlen geschlagen, und es kommt Bewegung in die Bettlerdebatte. Bewegung im Sinne von konstruktiven Gesprächen, an deren Anfang der Konsens steht, dass das Phänomen „Betteln“ nicht an Salzburg vorbei geht, egal welche Drehs die Politik erfindet. Jetzt, nach dem Urnengang, schielt die SPÖ nicht mehr auf jede „Kronen Zeitung“-Schlagzeile und ist endlich bereit zu einer Politik des Anstandes. Auch wenn die Stammwählerschaft in den niedrigen Einkommensschichten gegen jegliche Hilfe für BettlerInnen ist, nach dem Motto: „Für uns wird alles teurer und denen ...“ Aber auch die ÖVP ist nach der für sie katastrophalen Wahl bereit, sich zumindest an den „Runden Tisch“ zu setzen und dort die Mandatare des christlich-sozialen Spektrums wirken zu lassen. (Die anderen grübeln nach wie vor über „Lösungen“, die etwa Menschen aus Rumänien und Bulgarien das Betteln verunmöglichen, nicht aber etwa OberösterreicherInnen oder TirolerInnen, oder die ein sektorales Bettelverbot bringen, sprich eine „bettlerfreie“ Altstadt.)
Mindestmaß an sozialer Versorgung
Ein Runder Tisch, initiiert von Vizebürgermeisterin Anja Hagenauer (SPÖ), hat sich also darauf geeinigt, dass es zumindest 50 zusätzliche Notschlafplätze für Armutsreisende geben soll, mit Waschmöglichkeiten und warmem Essen. Man will einen Bus einrichten, der als mobile Arztpraxis eine medizinische Basisversorgung bietet. Im Winter soll eine zentrumsnahe Tagesstätte geschaffen werden, wo BettlerInnen oder StraßenmusikantInnen sich aufwärmen können. Zudem wollen Stadt und Land die Notreisenden mit Kleidung versorgen und sie intensiver ansprechen und betreuen. Viele von ihnen kommen völlig uninformiert nach Salzburg und haben keine Ahnung, was sie hier erwartet. Vom Wetter übers soziale Umfeld, die Rechtslage, die Kosten für Essen bis zu den Möglichkeiten, legal Arbeit zu finden und die in Österreich üblichen Umgangsformen. Außerdem spricht so gut wie keiner der BettlerInnen mehr als drei Worte Deutsch.
Umgesetzt werden die Konzepte nun von Caritas, Diakonie und Sozialvereinen. Die Kosten trägt vor allem die Stadt Salzburg. Man rechnet derzeit mit etwa einer Million Euro pro Jahr, das ist ein Bruchteil dessen, was Salzburg zuletzt jährlich als Budgetüberschuss erwirtschaftete.
Die Basisversorgung ist niederschwellig und stellt laut ExpertInnen bestenfalls das Mindeste dar. 50 Schlafplätze können bei durchschnittlich 130 in der Stadt befindlichen Notreisenden bzw. inländischen BettlerInnen den wahren Bedarf nicht decken. Die Container und Abbruchhausquartiere werden daher auch künftig nicht leer werden. Dennoch ist die Initiative ein mühsamer Kompromiss auf wackeligen Beinen. Man hat um ihn gerungen, nicht nur mit der FPÖ und Teilen der Volkspartei, sondern auch mit Volkes Stimme. Die Leserbriefseiten einiger Salzburger Zeitungen und viele Internetforen sind voll mit Kritik über die „warme Hängematte“ für die BettlerInnen aus Rumänien. Für ÖsterreicherInnen in Not habe die Politik keinen Cent, während man alles tue, um immer noch mehr „Nichtstuer“ aus dem Osten zu uns zu locken, so der Tenor.
Die Notreisenden spüren dieses weit verbreitete Klima der Feindseligkeit. Immer wieder werfen O-Bus-FahrerInnen Roma aus den Öffis, ohne sie nach einem gültigen Ticket gefragt zu haben. Einige Geschäftsleute tun selbiges. Dass einheimische BettlerInnen über die Konkurrenz aus dem Osten wenig erfreut sind, ist noch verständlich. Doch auch das Gros der Bevölkerung hat kein großes Herz. „Am öftesten hören wir, dass wir heimfahren und gefälligst arbeiten sollen“, sagen die BettlerInnen unisono. Aufhalten wird sie das nicht. Wie sagt der 30-jährige Liviu aus Rumänien so treffend: „Solange es mir hier, auf der Straße, besser geht als zu Hause, werde ich herkommen und betteln.“
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