Integration ist nicht vorgesehen
FLÜCHTLINGSBETREUUNG: Ein Bett zum Schlafen, ein Dach über dem Kopf. Für eine seriöse Betreuung reicht die Grundversorgung nicht aus, sagen Flüchtlingsorganisationen. Ohne Spendengelder würde das Betreuungssystem zusammenbrechen.
Text: Clara Akinyosoye
17 .503 – so viele Menschen haben 2013 in Österreich um Asyl angesucht. Gäbe man jedem eine leerstehende Wohnung in Wien, wären immer noch mindestens 12.497 Wohnungen frei. Doch so einfach ist die Unterbringung von AsylwerberInnen freilich nicht. Bund und Länder teilen sich – geregelt durch die Grundversorgungsvereinbarung – die Kompetenzen. Der Bund kümmert sich um AsylwerberInnen, die noch nicht im Verfahren sind, und um Menschen, die abgeschoben werden. Die Länder sorgen für jene Menschen, die ins Asylverfahren aufgenommen werden.
Doch das System ist brüchig. Ein Großteil der Länder hält sich nicht an die vereinbarten Unterbringungsquoten. Zudem hat Niederösterreich im Sommer die Pforten des Erstaufnahmezentrums Traiskirchen für weitere Aufnahmen geschlossen – aus Platzgründen, wie es heißt. Notquartiere mussten organisiert werden. Jetzt wird verhandelt. Flüchtlingsorganisationen sehen darin politisches Geplänkel auf dem Rücken Schutzsuchender. „Wir sind in die Gespräche bisher nicht eingebunden worden“, sagt Barbara Schmallegger, Bereichsleiterin für Unterbringung und Betreuung im Diakonie-Flüchtlingsdienst. Dabei hätte das Netzwerk Agenda Asyl, dem die Diakonie auch angehört, doch bereits einen Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der Grundversorgung veröffentlicht. Einer der zentralen Punkte ist der Ruf nach mehr Geld für die Betreuung. Das wird in Sparzeiten wie diesen auf wenig Gegenliebe stoßen.
19 Euro sind zu wenig
UnterkunftbetreiberInnen erhalten für die Unterbringung, Versorgung und Betreuung der AsylwerberInnen vom jeweiligen Bundesland 19 Euro pro Tag und Person. Derzeit befinden sich rund 16.000 Menschen in Grundversorgung. Doch mit diesen Mitteln sei eine Unterbringung mit vernünftiger Betreuung nicht machbar, sagt Schmalleger. Besonders den in die Kritik geratenen privaten Pensionen fehle es an Geld, um eine bessere Versorgung gewährleisten zu können. „Jemand, der seine Pension am Leben erhalten möchte, ist gewinnorientiert und wird vieles von dem, was wir anbieten, nicht anbieten. Denn wo bliebe dann sein Gewinn?“, fragt Schmallegger. Erst im vergangenen Jahr wurde der Tagsatz von 17 auf 19 Euro erhöht. Doch das sei „gerade mal ein Tropfen auf dem heißen Stein“, von einer Indexanpassung jedenfalls weit entfernt. Eines ist aber allen klar: Ohne Spenden würde das Betreuungssystem kollabieren. Letztlich werden durch Spenden viele Betreuungsleistungen finanziert, die für eine qualitative Versorgung notwendig sind. Dazu Schmallegger: „Mit Sachspenden richten wir Zimmer und Wohnungen ein. Mit den Geldspenden stopfen wir Löcher. Und Ehrenamtliche arbeiten mit Kindern oder geben Deutschkurse.“ In den Flüchtlingsquartieren der Diakonie ist rund um die Uhr eine Ansprechperson anwesend, qualifiziertes Personal betreut die AsylwerberInnen in den verschiedensten Belangen. Von Orientierungshilfe bis hin zur Schuldnerberatung wegen Schwarzfahr-Strafen, „die sich bei uns türmen“, erzählt Schmallegger. DolmetscherInnen müssen selbst bezahlt werden. Alles Teil einer Betreuung, die kostet. Betreuung, die vom Bund in dieser Form zum Teil gar nicht vorgesehen ist. Das zeigt sich etwa bei der Frage wie man die Menschen beschäftigen soll, die oftmals jahrelang auf ihren Bescheid warten, auf ein Taschengeld angewiesen sind und ihre Zukunft nicht planen können.
Integration durch Spenden
Deutsch lernen, Integration vorantreiben? Das unterstützt der Bund nicht. Außer für schulpflichtige Kinder und minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge sind Deutschkurse für Asylsuchende nicht vorgesehen. Wenn es nach den politisch Verantwortlichen geht, heißt es: Integration beginnt mit der Erteilung des Aufenthaltstitels. Zu spät, meinen Organisationen wie die Caritas, die eine Vielzahl von Asylheimen betreibt. Sie bietet auch für AsylwerberInnen Deutschkurse an – kostenlos oder gegen einen geringen Unkostenbeitrag. „Man muss schauen, dass man die Menschen bei Laune hält, damit sie nicht in Depressionen verfallen“, sagt Irmgard Joo, Leiterin des Caritashauses Amadou, das seit 1992 ein Hafen für Asylsuchende ist. Zu warten und nicht produktiv sein zu dürfen, mache die Menschen mürbe. Doch für die Integration von Menschen, die der Bund nicht als Zielgruppe für Integration definiert, kommt der Staat nicht auf. Die Gesellschaft tut es dennoch – durch Spenden und ehrenamtliches Engagement.
Ein faires System sieht anders aus
Kritik an der Grundversorgung kommt auch von der Geschäftsführerin des Integrationshauses Andrea Eraslan-Weninger. „Es gibt keine einheitlichen Qualitätsstandards- und Kontrollen.“ Zwischen und auch innerhalb der Bundesländer gibt es erhebliche Qualitätsunterschiede, was Unterbringung und Betreuung betrifft. SozialarbeiterInnen, mehrsprachiges Personal, PädagogInnen für die Kinderbetreuung sind nicht in allen Einrichtungen eine Selbstverständlichkeit. Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asyleinrichtung beziehen sich größtenteils auf infrastrukturelle Kriterien: Zimmergröße, Sanitäranlagen, Zuganbindung. Menschen in Grundversorgung müssen zwar beraten werden, aber der Betreuungsschlüssel sei mit 1:170 viel zu hoch, sagt Eraslan-Weninger. Das Wiener Integrationshaus hat einen Schwerpunkt auf Menschen gesetzt, die besonders schutzbedürftig und verletzlich sind: Traumatisierte, psychisch Kranke, aber auch Kinder, AlleinerzieherInnen oder Schwangere.
Für chronisch oder psychisch Kranke können UnterkunftsbetreiberInnen mitunter einen erhöhten Betreuungsbedarf geltend machen. Statt 19 Euro werden dann 42 Euro für die Versorgung und intensive Betreuung ausbezahlt. Doch auch das sei bei einer professionellen Betreuung nicht kostendeckend. Die Rahmenbedingungen für den „erhöhten Betreuungsbedarf “ hält die Integrationshaus-Chefin für stark verbesserungswürdig. Denn der erhöhte Betreuungsbedarf ist rechtlich nicht in der Grundversorgung verankert und wird nicht flächendeckend angeboten. „Leider sind auch die Kriterien zu streng bemessen. Wer von der Flucht „lediglich“ traumatisiert ist, erfüllt die Kriterien nicht. Es sei denn es würde zusätzlich z.B. eine Depression diagnostiziert“, kritisiert Eraslan-Weninger. Viele Menschen, die einen Platz bräuchten, bekommen keinen, weil sie die Voraussetzungen nicht erfüllen.
Der Bartenstein-Erlass
Erhielten AsylwerberInnen Zugang zum Arbeitsmarkt, würde das die Grundversorgung entlasten. Dann könnten die Menschen ihren Lebensunterhalt oder einen Teil davon selbst verdienen und dem Staat Geld bringen statt kosten. Doch der Staat lässt es nicht zu. Wie in Österreich mittlerweile bekannt, beschränkt sich der Arbeitsmarkt auf Saison- oder Erntearbeit. Auch darf man sich selbstständig machen – solange dafür kein Gewerbe angemeldet werden muss. Deshalb sind Asylwerber mitunter als Zeitungskolporteure tätig, Asylwerberinnen in der Sexarbeit. Der sogenannte „Bartenstein-Erlass“, der die Arbeitsmöglichkeiten für AsylwerberInnen 2004 dahingehend nochmals verschärft hat, ist nicht nur Flüchtlingsorganisationen ein Dorn im Auge. Vergangenes Jahr haben sich neben der Industriellenvereinigung, der WKO und dem ÖGB auch die Arbeiterkammer und Teile der SPÖ in Richtung Liberalisierung bewegt. Auch innerhalb der ÖVP gab es Stimmen, die sich wohlwollend zu einer Lockerung des Arbeitsmarktzugangs für Asylwerbende geäußert haben. Seitdem ist es allerdings wieder still geworden. Nicht so in Deutschland. Dort haben AsylwerberInnen nach neun Monaten Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Voraussetzung ist allerdings, dass sich keine Deutschen, EU-BürgerInnen oder anerkannten Flüchtlinge für den Job finden. Nun hat die Bundesregierung dem Bundestag ein Gesetz vorgelegt, wonach die Frist von neun auf drei Monate verkürzt werden soll. Die Abstimmung darüber wurde vertagt und soll voraussichtlich im Herbst stattfinden. Derweil ist in sechs deutschen Städten ein Pilotprojekt zur Arbeitsmarktintegration von AsylwerberInnen angelaufen. Zentraler Punkt: Die Menschen sollen schon während sie warten – etwa durch Deutschkurse – auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. In Österreich haben Flüchtlingsorganisationen ihre Forderung nach einem uneingeschränkten Arbeitsmarktzugang für AsylwerberInnen bekräftigt. Wer lang vom Arbeitsmarkt weg ist, findet sich schwerer wieder in die Strukturen ein. Das haben Studien über Langzeitarbeitslose längst bewiesen.
Nach langer Erwerbslosigkeit ist nun auch die Nigerianerin Sherry H. (Name geändert) auf der Suche nach Arbeit. Sie lebt seit 13 Jahren in Österreich, seit Kurzem mit einem Aufenthaltstitel. Die Alleinerzieherin wohnt in einem Caritas-Heim, dort hat sie sogar ihr erstes Kind auf die Welt gebracht. Sherry H. hat eine Leidensgeschichte hinter sich. Eine Geschichte, die sie nicht erzählen will, aus einer Zeit, in die Sherry H. nicht einmal gedanklich zurückkehren möchte. Sie will in die Zukunft blicken, Arbeit finden, schnell raus aus dem Heim. Denn, erklärt Sherry: „Es gibt viele Menschen, die so einen Platz brauchen.“
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