Sozialarbeit darf nicht repressiv sein
DOSSIER. Georg Dimitz, Personalvertreter der SozialarbeiterInnen der MA 11, über die Aufgabe von Sozialeinrichtungen, Hilfe zu leisten - auch für armutsbetroffene Familien aus Osteuropa.
Vergangenes Jahr wurden 63 bosnische Jugendliche von der Polizei beim Stehlen aufgegriffen. Medien beschreiben bettelnde oder stehlende Kinder immer wieder als „romatypisch“. Wie sehen Sie das?
Es gibt auch Österreicher, deren Kinder solche Tätigkeiten ausgeführt haben, und ich bin weit davon entfernt, zu sagen: „So sind die Österreicher.“
Ich reihe alle Problemschilderungen als Sozialprobleme ein, und für diese sind Lösungswege zu suchen. Die Erwähnung der Ethnien bringt uns der Lösung nicht näher. Die Ethnisierung von Problemen ist auch nicht wissenschaftlich und letztlich rassistisch. Ich beziehe mich da auf die UN-Konvention über Ethnien und rassistische Äußerungen, bei der Österreich federführend mitgearbeitet hat.
Es gibt es den Verdacht, dass die Jugendlichen von „Hintermännern“ zum Stehlen gezwungen werden. Doch die Ermittlungen sind schwierig, weil die Jugendlichen sich nicht als Opfer sehen. Welche Lösungen sehen Sie?
Dass wir Hilfsangebote bereitstellen. Als Sozialarbeiter bin ich Teil des Hilfssystems und nicht des Polizeisystems. Fotografieren von Kindern ist nicht die Aufgabe der Sozialarbeit. Es gibt Standards in der Sozialpädagogik, die für alle Einrichtungen gelten. Zu Beginn steht das Anamnesegespräch. Da wird erhoben, welche Bedürfnisse das Kind hat. Man/frau versucht das gesamte Gemeinwesen zu sehen und dort auf die Bedürfnisse und Probleme des Einzelnen rückzukoppeln. Ich muss meine Arbeit immer auf den individuellen Menschen abstimmen. Wichtig ist, nicht repressiv zu arbeiten. Das Gewaltmonopol liegt bei der Polizei und nicht bei der Sozialpädagogik. Wenn ein Kind dreimal davonläuft, dann muss ich versuchen, dass es beim vierten Mal dableibt. Da muss man/frau ein zähes Ringen um Beziehung führen.
Wie könnte man armutsbetroffenen Familien aus Osteuropa helfen, die nach Österreich kommen, um hier zu betteln oder Zeitungen zu verkaufen?
Dafür muss das Kinder- und Jugendhilfegesetz bzw. das Sozialhilfegesetz ganz individuell angewendet werden. Dafür sieht die Gesetzgebung auch Ressourcen vor, die zur Verfügung gestellt werden können. Für diese Aufgabe müssen den SozialarbeiterInnen muttersprachliche MitarbeiterInnen zur Seite gestellt werden. Denn Muttersprachlichkeit ist in schwierigen Lebenssituationen ein Menschen- und Kinderrecht.
Werden für die Betreuung dieser Kinder in Österreich zu wenig Ressourcen zur Verfügung gestellt?
Mehr kann oder soll es immer geben. Politik heißt Prioritäten setzen. Die Volksanwaltschaft fordert zu Recht eine Verdoppelung der Personalressourcen in der österreichischen Kinderund Jugendhilfe.
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