Asyl, mal sachlich
ANDERE ÜBER. Eine Gruppe von JournalistInnen unter dem Namen „Dossier“ hat in Wien, Niederösterreich und Salzburg in 98 Asylheimen die Lebensumstände recherchiert. Was sie antrieb und wie die Reaktionen der Politik ausfielen, erklärt die Dossier-Reda
Asyl in Österreich. Es geht um Menschenleben, um Würde, um öffentliches Geld. Da kommt einiges zusammen, vermischt sich viel, macht das Thema nicht einfach: traumatisierte Flüchtlinge, überforderte Beamte, kalkulierende Politiker. Entsprechend hitzig wird diskutiert, entsprechend emotional berichten viele Medien.
Seit April 2013 recherchieren wir, eine kleine Redaktion namens Dossier, das Thema Asyl – und versuchen dabei einen anderen Weg zu gehen, sachlich und mit Daten. Wir sprachen bisher mit mehr als 200 Asylsuchenden, schossen 4.247 Fotos und sammelten rund 56 Stunden Videomaterial. Das Ergebnis ist Dossier: Asyl, Österreichs erste umfassende journalistische Untersuchung der Lebensumstände von Asylsuchenden. Wir wollten wissen, wie Menschen, die hierzulande Schutz suchen, wohnen, was sie essen und wie sie behandelt werden.
Wir haben Gutes gefunden: LehrerInnen zum Beispiel, die in ihrer Freizeit unentgeltlich Deutschkurse für Asylwerbende anbieten. Wirte, die Kindern Spielzeug kaufen. Betreiberinnen von Unterkünften, die Asylsuchende nachts mit dem Auto aus der nächsten Stadt abholen, wenn sie den letzten Bus verpassen. Wir haben aber auch die andere Seite gesehen: zerfetzte Matratzen. Schimmel in Bädern und in Schlafzimmern. Kinder, die am Boden schlafen müssen. Die Kakerlakenspezies „deutsche Schabe“. Menschen, die bis zum nächsten Lebensmittelgeschäft zwei Stunden zu Fuß gehen müssen. Männer, die sagen: „Man behandelt uns wie Tiere.“
Sprechverbot für Wirte
Dossier ist weder eine NGO noch der verlängerte Arm einer politischen Partei. Wir haben ohne Auftrag recherchiert. Viele verwirrt genau das. Im 46 Oktober 2012 veröffentlichten wir das erste Mal ein Dossier. Das Thema: Inserate. Wir recherchierten die Anzeigenvergabe der Stadt Wien. Seid ihr Schwarze, wurden wir gefragt. Nein, ihr müsst Blaue sein! Immerhin, bei der Veröffentlichung geht es „gegen“ das rote Wien. Farbenspiele, Lagerdenken, österreichische Muster.
„Was ist eure Agenda?“, werden wir auch jetzt wieder gefragt, seit wir Dossier: Asyl veröffentlicht haben. „Was sind eure Forderungen?“ Die Antworten bleiben dieselben: Journalismus ist die Agenda. Forderungen zu stellen steht uns nicht zu. Recherchieren und informieren, sachlich und doch spannend berichten – das dürfen, das müssen wir. Die Nuancen finden, so nah wie möglich an der Wahrheit dran sein. Das sehen, was zwischen Schwarz und Weiß liegt.
Wie grau Österreichs Asylwesen ist, verdeutlichen die Reaktionen der politisch Verantwortlichen. Den Missständen, die wir in der Recherche gefunden haben, treten sie unterschiedlich entgegen: Da gibt es eine Salzburger Landesrätin – seit wenigen Monaten ist sie im Amt –, die offen spricht und die Recherchen bestätigt; die Versäumnisse einräumt und Pläne zur Verbesserung vorstellt. Da gibt es in Niederösterreich eine Landesrätin, die es vorzieht, bisher kein Interview zu geben; und die noch einen Schritt weitergeht: Auch die Betreiberinnen und Betreiber von Asylunterkünften dürfen nicht mit JournalistInnen sprechen. Punkt. Und es gibt den Landesrat im Burgenland, der die Ergebnisse vom Tisch wischt. Er nennt das schlimmste Quartier der Recherche „eines der beliebtesten unter den Asylwerbern“. Dass Asylsuchende dort in Zimmern schlafen, in denen Schimmel großflächig an der Wand wächst, und dass der Betreiber Strom wie Gas rationiert, scheint ihn nicht zu stören. Auch das ist Asyl in Österreich.
ZUR PERSON
Dossier
Dossier ist eine spendenfinanzierte Plattform, die investigativen und Datenjournalismus betreibt und fördert. Seit Oktober 2012 publiziert Dossier Themen von öffentlichem Interesse, bisher das Dossier: Inserate und das Dossier: Asyl.
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