Es geht darum, zu motivieren
DOSSIER. Vesna Dimic arbeitet als Schulmediatorin für Kinder von Roma. Manchen Eltern fehlt das Bewusstsein, dass Bildung einen Wert hat, erzählt sie. Dass die Kinder automatisch in Sonderschulen gesteckt werden, sei aber nicht mehr die Praxis.
Interview: Piotr Lansky
Sie arbeiten seit eineinhalb Jahren als Schulmediatorin für Roma-Kinder. Womit haben Sie da zu tun?
Ich unterstütze Kinder, Eltern und Lehrer. Ich bin so eine Art Vertrauensperson und helfe den Eltern dabei, dass sie einen positiven Zugang zur Schule finden. Ich helfe zum Teil auch während der Schulstunden, indem ich übersetze. Es geht hier um Volksschulen und um eine Sonderschule. Ich informiere die Eltern, viele sprechen Deutsch nicht gut genug, ich bemühe mich aber auch, den Lehrern die Lebenssituation der Eltern näher zu bringen. Wenn ein Kind ohne Stifte in die Schule kommt, ist das für die Lehrer unverständlich. Es bringt natürlich nichts, das Kind dafür zurechtzuweisen, man muss sich die Situation und die Ursachen bei den Eltern ansehen.
Wie werden Sie aktiv?
Zuerst kontaktiert die Schule mich oder das Romano Centro. Es gab einmal ein Problem, dass ein Kind seit zwei Monaten nicht in die Schule kommt. Die Lehrer haben niemand am Telefon erreicht, ich bin dann mehrmals zu der Wohnung gegangen. Die Lehrer würden das ja eher nicht machen, ist auch nicht ihre Aufgabe. Ich hab mir damals gedacht, wir schaffen das, ich habe mit den Eltern geredet. Jetzt kommt das Kind regelmäßig, die Direktorin ist sehr zufrieden. Es geht hier auch viel um Vertrauen. Wenn das Jugendamt in der Wohnung auftaucht, kriegen die Leute gleich einmal Angst. Ich spreche die Sprache der Leute, das hilft viel.
Was war das Problem?
Bei dieser Familie gab es tatsächlich ein Problem. Die Mutter hat mir erzählt, sie war zwei Monate in Bulgarien, und der Mann war im Gefängnis. Dem Jugendamt wollte sie das nicht erzählen. Solche krassen Fälle sind aber selten. Manchmal kommt es vor, dass die Leute mich bitten, dem Jugendamt dies oder das nicht zu sagen. Da fühle ich mich wie in einem Sandwich. Aber es geht darum, eine Lösung für das Kind zu finden. Manchmal erkennen die Eltern auch nicht, dass Bildung einen Wert hat. Sie stellen sich vor, ihr Kind soll auch so etwas arbeiten wie sie.
Bemerken Sie Veränderungen?
Ja, schon. Es gibt seit etwa zehn Jahren auch Magister, da ist eine Generation herangewachsen, die sich von alten Zusammenhängen löst und selbst Bildung sucht. Aber auch bei den Eltern bemerke ich, dass bestimmte Traditionen weniger werden, zum Beispiel dass die Tochter eh keine Bildung braucht, weil sie einmal heiraten wird. In solchen Fällen frage ich dann die Mutter: Bist du zufrieden, dass du jeden Tag zu Hause bist und kochst?
Wie kommt man eigentlich zu so einem Beruf?
Das war Zufall. Danke an meinen Mann, er hat in der Cosmo, das ist eine serbische Zeitung, ein Inserat gefunden: Suchen junge Talente ab sechs Jahren, die singen und tanzen können, für einen Wettbewerb. Das ging vom Romano Centro aus, das ich nicht gekannt habe. Ich wusste gar nicht, dass es einen Verein in Wien gibt, der Roma bei ihren Problemen hilft, egal ob Arbeit oder Schule. Egal, ich habe also angerufen und weil die Frau an der Leitung kein Serbisch sprach, habe ich scherzhaft gefragt, ob sie nicht jemand suchen, der übersetzen kann. So hat das begonnen.
Wie hat Ihre eigene Kindheit ausgesehen?
Ich komme aus Serbien, aus einer Kleinstadt in der Nähe von Belgrad. Ich bin in einer Straße aufgewachsen, in der nur Roma lebten. In jedem Haus wurde traditionell ein Instrument gespielt. Ich war sehr talentiert und wäre eigentlich gern auf ein Musikgymnasium gegangen, denn in meiner Generation war schon jedes Kind regelmäßig in der Schule, und ich war eine gute Schülerin. Dann wäre ich heute vielleicht Musiklehrerin. Stattdessen wurde ich zur Verkehrstechnikerin ausgebildet. Ich finde, das war ein Fehler von meinem Vater.
Es wird von osteuropäischen Ländern berichtet, dass Roma vor der Wende Arbeit hatten und die Ersten waren, die gekündigt wurden. Wie haben Sie diese Zeit damals erlebt?
Bei uns gab es auch gewisse Vorurteile, aber niemand hat zu mir gesagt, dass wir Bettler sind oder stinken. In unserem Ort gab es eine Sonderschule, die meisten Kinder der Roma kamen dorthin. Ich nicht, darauf bin ich stolz. Aber eine gewisse Distanz gab es schon. Als wir einmal in der Klasse ein Lied gesungen haben, wo es um „Zigeuner“ ging, da habe ich mich geniert. Alle haben sich dabei auf mich bezogen.
Haben Sie Romanes gesprochen?
Kaum. Meine Oma spricht das noch, aber die Sprache stirbt aus. Wenn, dann hat man bei uns „Bejasch“ gesprochen, das ist wieder ein eigener Dialekt. Erst bei meiner Arbeit jetzt habe ich mit Rumänen zu tun, die Rumänisch und Roman sprechen. Es gibt aber so viele Dialekte, dass ich zum Beispiel mit Roma aus Ungarn großteils nicht sprechen könnte.
Warum sind Sie weggegangen?
Weil Krieg in Jugoslawien war. Wir sind dann nach Österreich gegangen, weil es das östlichste Land ist. Ich dachte, von hier aus ist man in sechs, sieben Stunden zu Hause. Ich bin in Österreich aber sehr zufrieden, auch deswegen, weil ich mich hier nicht allein fühle. Kontakt mit anderen Leuten aus Serbien zu haben ist schon schön. Ein Problem ist eher, dass meine Ausbildung hier nicht anerkannt wird, dass ich meinen Beruf nicht ausüben kann. Als ich hergekommen bin, habe ich als Bedienerin gearbeitet, das war für mich ein Horror. Meine Kolleginnen waren zwar nett, aber hatten keine Bildung, das macht einen nicht glücklich.
Welche Probleme haben die Schulen, wenn sie sich an Sie wenden?
Da geht es um Lernschwäche, man sagt dann so leicht, die Kinder sind faul, aber das Problem liegt bei den Eltern. Oder die Kinder erscheinen eben nicht jeden Tag zum Unterricht, aber wie gesagt, solche Fälle sind Gott sei Dank die Ausnahme. Ich werde ja nur in den Fällen aktiv, wo es Probleme gibt.
Was sagen Sie den Eltern?
Ich frage die Kinder, ob sie später putzen wollen oder ob sie nicht lieber eine schöne Wohnung haben, sich Klamotten kaufen und reisen wollen. Es geht darum, die Beteiligten zu motivieren. Zeitweise fehlt den Eltern auch der Zugang, dass ihre Kinder nicht erst um zwei Uhr in der Früh schlafen gehen und am nächsten Tag aufstehen sollen. Oder sie glauben, das Kind hat schon alles, man baut ein Haus und man bereitet dem Kind das Leben vor – wozu braucht es dann noch eine gute Bildung? Das Kind wird schon etwas finden, putzen oder sonst was. Dann denke ich mir, dass ist typisch altes Roma-Denken, das braucht viel Zeit. Ich kenne Roma aus Serbien, die waren Polizist oder auch Lehrer. Es gibt eben auch Unterschiede unter den Roma. Zwischen Kosovo-Roma und Roma in Belgrad gibt es große Unterschiede, da gibt es Schichten, die sind einfach zurückgeblieben. Seit dem Krieg ist es aber viel schlimmer geworden, da wird man angefeindet. Vor zehn Jahren hatte ich in Belgrad Angst, Brot kaufen zu gehen. In Österreich hat man sicherlich bessere Chancen.
Wie ist das mit den Lehrern in Österreich? Registrieren Sie Vorurteile gegenüber Roma-Kindern?
Dass es heißt, aus dem Kind wird nichts. Ja, das gibt es manchmal. Lehrer wissen aber auch wenig über Roma. Es gibt vielleicht nicht so viel Vorurteile, aber einen Mangel an Interesse. Natürlich gibt es Kinder, die länger beim Lernen brauchen.
Kommen Roma-Kinder schneller in die Sonderschule?
Ja, immer noch. Ich habe ein Kind, bei dem ich schon gefragt habe, warum es in der Sonderschule ist. Es kann gut rechnen und schreiben, da hat mir die Lehrerin erklärt, dass es wegen zu vieler Fehlstunden hier ist. Zugleich macht es mich aber auch stolz, wenn ein Kind der Beste in einem Fach in der Klasse ist. Das gibt es auch. Manchmal wissen die Lehrer aber auch gar nicht, dass ein Kind der Volksgruppe angehört. Es sagt ja nicht jeder und hat auch nicht jeder dünklere Hautfarbe.
Hören Sie eigentlich öfter das Wort „Zigeuner“?
Ja, schon. Auch wenn wir das untereinander verwenden, ist es schon degradierend, wenn einen die anderen so nennen. Ob jemand das Wort Zigeuner oder Rom verwendet, dann meint er auch was Unterschiedliches damit.
Es ist viel von Integration die Rede, was verstehen Sie darunter?
Zuerst geht es da um die Sprache. Wenn man schon länger hier ist, sollte man Deutsch sprechen. Aber sonst? Wenn ich an meine Tochter denke, die eine gute Ausbildung bekommen soll – wird sie dann auch einen Job finden? Oder besteht die Gefahr, dass man am Ende für die anderen immer die Romni bleibt? Da ist es besser, wenn man als Serbin wahrgenommen wird.
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