Vertreibungssucht
Österreich mobbt qualifizierte, hochmotivierte und längst verwurzelte Menschen aus dem Land. So greift die Rot-Weiß-Rot-Karte nicht.
Kommentar: Alexander Pollak
Ihr blieb keine andere Wahl als ein Rückflugticket nach Kolumbien zu buchen. Trotz zweier erfolgreich absolvierter Studien, trotz Jobangeboten, trotz bereits 11-jährigem Aufenthalt in Österreich und trotz höchster Motivation, wollte die österreichische Politik die 29-Jährige aus dem Land haben. Wer in Österreich als Nicht-EU-Bürgerin ein Studium absolviert hat, muss ein Jobangebot mit einem Anfangsgehalt von mehr als 1.998 Euro in einem fixen Angestelltenverhältnis vorweisen, um eine Rot-Weiß-Rot-Karte erlangen zu können.
Erst als SOS Mitmensch die Öffentlichkeit über die realitätsfremde Regelung und den Fall von Natalia Z. informierte, setzte eine Welle der Solidarität ein. Die hochqualifizierte Kolumbianerin erhielt neben gut gemeinten Adoptionsangeboten und Heiratsanträgen auch Jobofferte von empörten UnternehmerInnen, die es ihr schließlich ermöglichten, die Einkommenshürde für die Rot-Weiß-Rot-Karte zu überspringen.
Wie aber kommt die Politik überhaupt auf die magische Grenze von 1.998 Euro? Das sei in etwa das Durchschnittsanfangsgehalt von vollzeitbeschäftigten StudienabsolventInnen, verlautet es rechtfertigend von Seiten der Regierung. Doch diese Rechtfertigung hat erhebliche Schwachstellen: Nicht nur unterscheiden sich die Anfangsgehälter je nach Studium erheblich, es landet auch nur ein Teil der StudienabsolventInnen nach Studienende in einem Vollzeitangestelltenverhältnis. Viele starten mit Teilzeitjobs, als selbständige ProjektarbeiterInnen oder müssen sich überhaupt erst durch Praktika einen Job erarbeiten.
Man wolle mit den starren Hürden eben Lohndumping verhindern, so das nächste Argument der Regierung. Doch die Realität schaut wiederum anders, nämlich oftmals genau umgekehrt, aus. Durch die zu hohen Hürden für die Rot-Weiß-Rot-Karte sind viele, die in Österreich eine Ausbildung gemacht haben, dazu gezwungen, immer neue Ausbildungen anzufangen, um nicht das Land verlassen zu müssen. Nebenbei arbeiten sie teils offiziell, teils aber auch inoffiziell – und damit nur mit geringer oder gar keiner sozialer Absicherung –, immer in der Hoffnung auf den erlösenden Traumjob oder politisches Umdenken.
Rot-Weiß-Rot-Karte neu
Seit dem Fall der 29-jährigen Kolumbianerin hat sich die Politik keinen Millimeter bewegt. Das bekommt unter anderem gerade ein 32-jähriger Nepalese zu spüren. Sujan D. kam vor knapp 10 Jahren als bester Bachelorabsolvent seines Jahrgangs nach Österreich. Der damals 22-jährige absolvierte zwei Wirtschaftsstudien, jobbte währenddessen und danach als Zeitungszusteller und als persönlicher Assistent für eine Person mit Behinderung und steht jetzt dennoch ohne Aufenthaltssicherheit und vollem Zugang zum Arbeitsmarkt da.
Für ihn liegt die Hürde für die Rot-Weiß-Rot-Karte sogar noch höher als für andere, nämlich bei 2664 Euro Monatseinkommen. Denn der Nepalese hat das Pech, dass er seine Studien an einer Privatuniversität absolvierte, die anschließend insolvent wurde und deren Studienabschlüsse die österreichischen Behörden nicht anerkennen wollen.
„Österreich ist zu meiner zweiten Heimat geworden. Ich würde gerne hier bleiben und etwas beitragen, aber die Politik macht es mir und meiner Frau sehr, sehr schwer. Meine Frau erwartet ein Kind. Wir wollen dieses Kind nicht in einer Situation der absoluten Unsicherheit aufziehen. Deshalb denken wir ernsthaft darüber nach, Österreich wieder zu verlassen, auch wenn es uns weh tut“, so Sujan D.
Der letzte Funken Hoffnung für D. und viele andere ist, dass sich die „Regierung neu“ auch auf eine „Rot-Weiß-Rot-Karte neu“ einigt. Dringend geboten wäre nicht nur eine Senkung der Einkommenshürden und eine flexiblere Ausgestaltung, es braucht zudem auch ein vollkommen einkommensunabhängiges Modell für Personen wie D., die bereits langjährig in Österreich leben und längst hier verwurzelt sind.
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