Anders gesagt: Mir graust es!
Das Fernsehen stellt die Flucht von Menschen in einer Art Reality-Format nach. So ein Abenteuertrip auf dem Rücken Schutzsuchender ist keine gute Idee. Olivera Stajic über die Rolle der Medien, in einer pluralistischen Demokratie für Diversität zu sorgen. Illustration: Petja Dimitrova
Gerade als die Debatte um die Abschiebung der Flüchtlinge aus dem Serviten-Kloster und ihre mutmaßliche Verwicklung in Schepper-Geschäfte ihren Höhepunkt erreicht hatte, erreichte mich eine Pressemitteilung des ZDF. In Deutschland würden die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber Asylsuchenden zunehmen. Zu lesen ist: „Interessant ist dabei, dass diese Abneigung umso größer ist, je weniger Wissen über Flüchtlinge existiert und je weniger Kontakt es gibt.“ Es sei Aufgabe der Medien, aufzuklären.
Schon jetzt erreichen Bilder gekenterter Boote und von überfüllten Erstaufnahmelagern in Italien und Griechenland die Medien-KonsumentInnen. Doch das reicht offenbar nicht. Nun haben die deutschen Fernsehmacher „eine gänzlich neue Art gesucht, sich dem Themenkomplex anzunähern“. Das ZDF schickte sechs Menschen auf eine Reise in den Irak und nach Eritrea, um die realer Flucht zweier Familien "nachzuspielen" und nennt das Ganze "Auf der Flucht – Das Experiment". Das Internet- und social-media-affine ZDF neo stellte die erste Folge der Reality-Doku sogar vorab ins Netz. Ich verfasste eine Kritik auf meinem derStandard.at-Blog. Sie fiel vernichtend aus: Das „Experiment" unterscheidet sich nämlich keineswegs von den üblichen, menschenverachtenden Reality-Formaten im Privatfernsehen. Die ProtagonistInnen wurden hinsichtlich ihres Konfliktpotenzials perfekt zusammensetzt. Von Anfang an ist klar: Das hier wird ein Abenteuer- und Selbsterfahrungstrip und bestimmt kein aufklärerisches Experiment. Die Teilnehmerinnen strotzen vor Unwissenheit, (gespielter) Naivität und Selbstmitleid. Die Schicksale der Flüchtlinge geraten in den Hintergrund. Was das ZDF wollte, die „unmittelbare und vorurteilsfreie Perspektive auf die Situation der Flüchtlinge", kann es nicht leisten.
Auf meine Kritik fragte ein Poster im Standard-Forum: „Stajic: Kritik nachempfindbar. Ok. Ihre Verbesserungsvorschläge = … ?“. Nun, ich maßen mir nicht an, FernsehproduzentInnen Ratschläge zu geben. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann: Fluchterfahrung ist nichts, das man nachspielen oder gar nachempfinden kann. Und das ist gut so.
Wir, die JournalistInnen, werden uns auch in Zukunft der „gewöhnlichen“ journalistischen Werkzeuge bedienen müssen, um über Fluchtgründe, globale Konflikte und ihre Ursachen sowie über das Recht auf Asyl aufzuklären. Wenn wir das gewissenhaft und gründlich machen und uns nicht von der politisch motivierten Hetze – egal von welcher Seite – beeinflussen lassen, ist schon viel getan. Es graust mir nämlich, wenn ich daran denke wie österreichische Medien anlässlich des Servitenkloster-Falles über Asylsuchende und die Thematik „Flucht“ berichtet haben. Es graust mir noch mehr als vor Z-Promis die Flucht, Entführung und Leid „nachspielen“.
Olivera Stajic ist Redaktionsleiterin von daStandard.at