Vom Demos zum Ethos
Der Rechtsextremismus hat sich mit der Demokratie arrangiert – auch deshalb, um sie im Sinn einer „Ethnokratie“, also zur Abstammungsgesellschaft, umzudeuten.
Text: Andreas Peham
Oft wird der parteiförmige Rechtsextremismus, der sich noch im Rahmen der parlamentarischen Demokratie artikuliert, als „Rechtspopulismus“ bezeichnet. Dies gilt vor allem für Deutschland, wo eine definitorische Bindung des Begriffs „Rechtsextremismus“ an die militante Frontstellung gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ besteht. Demgegenüber hat sich in Österreich, das ja bekanntlich eine derartige „Grundordnung“ nicht kennt, ein Verständnis durchgesetzt, das den Rechtsextremismus in erster Linie inhaltlich, vor allem als Ideologie „natürlicher“ Ungleichheit und als antiliberalen (Volks-)Gemeinschaftsdünkel bestimmt. Die deutliche Ablehnung der Parteiendemokratie und eine offene Verfassungsfeindlichkeit gelten nach dieser auf den Klagenfurter Historiker Willibald I. Holzer zurückgehenden Definition nicht als Vorraussetzung, um eine Gruppe oder Position als rechtsextrem zu charakterisieren.
Aber auch wenn der modernisierte Rechtsextremismus sich heute nicht mehr gegen, sondern in der Demokratie artikuliert, ist er noch lange nicht demokratisch geworden. Denn dazu müsste er die liberalen Ideen der Gleichheit und des Individuums (als alleiniger Träger von Menschenrechten) und die Rechtsstaatlichkeit (etwa in Form des Minderheitenschutzes oder Diskriminierungsverbots) akzeptieren. In der Programmatik und Agitation der FPÖ wird jedoch deutlich, dass genau dies nicht der Fall ist: Gleichheit wird als „Gleichmacherei“ oder „Einebnung natürlicher Unterschiede“ denunziert, dem Individuum wird die oft auch „organisch“ genannte Gemeinschaft „Volk“ als Trägerin von Rechten übergeordnet, und mit der „Meinungsfreiheit“ im Anschlag agitieren Freiheitliche etwa gegen das Verbot der Verhetzung und der NS-Wiederbetätigung. Der Rechtsstaat wird immer nur dann bejaht, wenn er – in Form der Justiz – im Sinne der Rechtsextremen agiert, wie dies jüngst im Zusammenhang mit den Abschiebungen pakistanischer Flüchtlinge der Fall war. Ansonsten ergeht man sich seitens der FPÖ in Tiraden gegen eine angebliche „Politjustiz“ und „parteiisch agierende Richter“, die unschuldige Freiheitliche wie Uwe Scheuch „kriminalisieren“ würden. Ein weiterer Indikator demokratischer Gesinnung ist der Umgang mit Differenz und Abweichung, mit Andersdenkenden und politischen GegnerInnen. An zahlreichen Äußerungen von freiheitlicher Seite wird eine weit über die politische Gegnerschaft hinausreichende autoritäre Ablehnung von kritischem Engagement deutlich. 2008 drohte etwa Parteichef Heinz-Christian Strache bei einer Wahlkundgebung in Linz Personen, die ihre Ablehnung der FPÖ lautstark artikulierten: „Wenn wir bestimmen, werden die anstatt zu pfeifen arbeiten müssen.“ KritikerInnen des Rechtsextremismus werden abwechselnd diffamiert („Linksfaschisten“), lächerlich gemacht („Pausenclown“) oder pathologisiert („Multi-Kulti-Wahn“). Jede Kritik an der FPÖ wird in der für den Rechtsextremismus typischen Täter-Opfer-Umkehrung als „Hetze“ oder „Gesinnungsterror“ denunziert. Wenn die GegnerInnen der FPÖ es dann auch noch wagen, gegen deren Politik zu demonstrieren, wird das von freiheitlicher Seite als „Steuergeldverschwendung“ abgelehnt: Die Polizei solle „besser im Kampf gegen die überbordende Kriminalität eingesetzt“ werden, „als arbeitslosen Profidemonstranten bei ihrem armseligen Treiben“ zusehen zu müssen, so der Wiener Landtagsabgeordnete Anton Mahdalik. Noch weiter ging der damalige Anführer der freiheitlichen Polizeigewerkschaft, Josef Wagenthaler, der Menschen, die Sicherheitsbeamten widersprechen oder sich ihrer Anordnungen widersetzen, für quasi vogelfrei erklärte: „Wer sich widersetzt, egal ob verbal oder körperlich, hat alle Menschenrechte verloren.“ *
„Identitäre“ Demokratie
Es wäre aber falsch, den Rechtsextremismus gänzlich als undemokratisch zu bezeichnen, da er sich mit der Demokratie als Form zur Bestimmung von Mehrheiten längst arrangiert hat. Er will, wie Michael Minkenberg es auf den Punkt bringt, die Demokratie nicht abschaffen, sondern „im Sinne von ‚Ethnokratie‘ umdeuten.“ Diese Regression von Demos (politische Gemeinschaft) auf Ethnos (Abstammungsgemeinschaft) kennzeichnet den Rechtsextremismus seit jeher. Dessen Säulenheiliger Carl Schmitt dekretierte die Überholtheit der repräsentativen Demokratie, wenn „die substanzielle Gleichartigkeit des Volkes so groß ist, dass aus der gleichen Substanz heraus alle das Gleiche wollen.“ Diese (völkische) Homogenität wiederherzustellen und im Bedarfsfall das Heterogene auszuscheiden oder gar zu vernichten, ist nach Schmitt die eigentliche Aufgabe des Politischen. Ist dann die „Identität von Regierenden und Regierten“ einmal hergestellt, mache es keinen Unterschied mehr, ob „statt des Volkes Vertrauensleute des Volkes entscheiden“ oder „im Namen desselben Volkes ein einziger Vertrauensmann“ spricht und handelt.
Heute knüpfen Rechtsextreme in ihrem Kampf für die „identitäre“ oder „organische Demokratie“, in der sich der „wahre Volkswille“ durchsetze, unmittelbar an Schmitt an. Die politische Willensbildung erfolgt hier nicht länger als individueller Akt von Gleichen, sondern als kollektiver Akt von Identischen. Konsequenterweise weisen etwa die Identitären, eine von Burschenschaftern getragene neue Strömung im deutsch-österreichischen Rechtsextremismus, darauf hin, dass ihre „Demokratie“ eine „gewisse Homogenität der Bevölkerung [erfordert], damit sie einen gemeinsamen Willen bilden kann.“ Ist das Volk zum Kollektivsubjekt erklärt, braucht es jemanden, der den einheitlichen Willen des Volkes erkennt und artikuliert – die männliche(n) Elite(n) oder gar einen Führer.
Spätestens nach den Erfahrungen mit Faschismus und Nationalsozialismus sollte Demokratie nicht länger auf ihre Form reduziert werden. Vielmehr braucht sie zu ihrer Ergänzung wie zu ihrem Schutz Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, wobei insbesondere Letztere im Konfliktfall dem Prinzip der Volkssouveränität übergeordnet sein kann und soll. Aber genau dieser Lehre der Geschichte gegenüber versperren sich extreme Rechte – etwa in ihren dauernden Forderungen nach Ausweitung der direkten, plebiszitären Demokratie, in der dann alles, also auch die Rechte von (religiösen) Minderheiten, zur Disposition gestellt werden kann und die unter den gegenwärtigen Bedingungen wohl das kollektive Ressentiment an die Macht brächte. Zuletzt forderte die FPÖ Ende August 2010 eine Volksbefragung über Muslime, ihre religiösen Stätten (Minarettverbot), Kleidung (allgemeines Burka-, Hijab- und Kopftuchverbot im öffentlichen Raum) und Verfassungstreue oder Integrierbarkeit.
Daneben dienen entsprechend dem rechten Vorrang der Form vor dem Inhalt die Wahlerfolge auch der FPÖ dazu, sich selbst und andere rechtsextreme bis faschistische Parteien wie z. B. die ungarische Jobbik als „demokratisch legitimiert“ darzustellen – und alle, die diese Parteien kritisieren, als „undemokratisch“ zu denunzieren. Aus diesem Eck kommt der Antifaschismus nur, wenn er es schafft, demokratische Formen mit demokratischen Inhalten wieder zu einer untrennbaren Einheit zu verschmelzen.
Linke in der Postdemokratie
Wirken schon spätbürgerliche Vergesellschaftungsmodi und autoritäre Dispositionen begünstigend für den Erfolg des Rechtsextremismus, so sind dessen Chancen in der „Postdemokratie“ (Colin Crouch) noch größer geworden. Begünstigt wird die extreme Rechte durch eine herrschende Politik, die sich weitgehend auf Propaganda, auf bloße Organisierung von Zustimmung beschränkt und damit eine „populistische Lücke“ (Jörg Flecker / Sabine Kirschenhofer) aufmacht. Die aktuelle Legitimationskrise der repräsentativen Demokratie kann als Bedingung für die Erfolge der extremen Rechten gar nicht überschätzt werden. Mit dem Stopp der Demokratisierung unter den Bedingungen des Neoliberalismus schwanden die Erfolgsaussichten solidarischen Handelns aufgrund gemeinsamer sozialer Interessen. Mit dem permanenten Verweis auf Sachzwänge – Stichwort „Standortsicherung“ – wird der Spielraum oppositioneller Haltungen eingeengt und werden immer weitere Politikfelder aus der demokratischen Verhandlung ausgeschlossen. Ein Bundeskanzler und sozialdemokratischer Parteichef, der Menschen mit Visionen in der Politik den Gang zum Arzt verordnete, brachte dieses antipolitische Denken von oben auf den Punkt.
Linke sollten unter diesen Bedingungen von der Notwendigkeit einer nachholenden Demokratisierung von unten ausgehen. Diese zielt als offenes Projekt auf sämtliche Lebensbereiche, worin sie an die Grenzen spätbürgerlicher Herrschaft stößt, was ihr einen so utopischen Charakter verleiht. Erschwert, ja verunmöglicht wird dieses Projekt, wenn Linke damit aufhören, den umzustürzenden Verhältnissen „ihre eigene Melodie“ (Karl Marx) vorzuspielen, sprich die uneingelösten Versprechen der bürgerlichen Revolution einzuklagen. Dabei ginge es aber nicht um eine unkritische Apologie dieser Versprechen wie etwa der Gleichheit in Zeiten der sozialen und kulturellen Produktion von Ungleichheit, sondern um das Anknüpfen an den emanzipatorischen Kern des Egalitarismus. Während extreme Rechte die bürgerlichen Forderungen nach individueller Freiheit und Gleichheit denunzieren, sollten Linke weiterhin ihre tatsächliche Umsetzung einklagen.
* Dieses bezeichnende Zitat fand sich in einem Text, der am 4. März 2009 auf der AUF-Homepage erschienen ist. Drei Tage später wurde er jedoch wieder gelöscht, laut Wagenthaler, weil er „missverständlich war“. Der FPÖ-Polizist stehe aber nach wie vor „absolut“ zu seiner darin ausgedrückten Meinung. (Neue Vorarlberger Tageszeitung, 19. 3. 2009)
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version eines Textes in der Zeitschrift malmoe. (www.malmoe.org). Andreas Peham ist Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW).