Editorial
Liebe Leserin
Lieber Leser
Wie aus der Warhol’schen Siebdruck-Serie wirkt die Politik, insbesondere in Wahlkampfzeiten. Statt Marilyn Monroe reihen sich nun die Konterfeis von Parteichefs seriell aneinander. Sie machen freundliche Nasenlöcher und versprechen im Gleichklang alle das Beste für das Land. Das heißt nicht, dass auch ihr sozialer Gehalt vollkommen gleich austariert ist. Die Solidarität der einen ist den Unternehmen und Reichen vorbehalten, die der anderen „den Österreichern“. Der Wahlsieg wird am Ende vor allem ein Sieg der jeweiligen PR-Fachleute sein, deren inhaltsleere Kampagnen Profilschärfe scheuen und lieber auf den größten gemeinsamen Wischiwaschi-Nenner an Wählerschaft abzielen. Die Grünen haben wir auf dem Cover ausgenommen, sie passen meist noch nicht zu dieser Art von Retortenpolitik. Das hat auch den Nebeneffekt, dass das fesche Männerquartett nicht durch die einzige Parteichefin gestört wird. Aufgaben für die Politik gebe es natürlich genug. Dass das Parlament sich zu einer „verlängerten Werkbank der Parteien“ entwickelt hat, statt seiner Rolle als Gesetzgeber nachzukommen, wie der Verfechter der direkten Demokratie, Johannes Voggenhuber, es formuliert, ist nur eines davon. Dass der Neoliberalismus dem demokratischen und sozialen Gefüge unserer Gesellschaft bereits irreparable Schäden zugefügt hat, wie der Politikwissenschaftler Colin Crouch im Interview erklärt, ein anderes. So wird das Cover der Parteichefs zur Ikonographie des Sarkasmus: Es lebe die Postdemokratie!
Spannende Momente wünscht
Gunnar Landsgesell