Die Dandys von Brazzaville
Die Sapeurs in Kongo-Brazzaville verzichten lieber auf ein paar Mahlzeiten als auf den Gucci-Anzug. Sie haben die Mode zur Religion und sich selbst zur Botschaft erhoben.
Die Bewegungen wirken durchaus ulkig. Die eigene Selbstdarstellung bis ins Groteske zu übertreiben, scheint für die Sapeurs von Brazzaville kein Hindernis, solange das Ergebnis möglichst individuell ausfällt. Bei allen beliebt ist es, das Sakko mehrmals flatternd zu lüften, sodass die Markenetiketten von Versace, Gucci oder John Preston sichtbar werden. Auch Krawattenknöpfe, beispielsweise von Armani, werden immer wieder entschieden zurechtgerückt, die Hose beiläufi g angehoben. Das könnte zum Schutz vor dem Straßenschlamm passieren. Ein Nebeneffekt ist, dass dabei penibel polierte Herrenschuhe und Socken in der Farbe des Hemdes zum Vorschein kommen. Ein Sapeur trägt beide in Grasgrün, dazu ein rosa Sakko und eine violette Krawatte. Mehr als drei Farben, das schreibt die hohe Schule der Sape vor, sollten nie kombiniert werden. Als Accessoires gehen eine Pfeife, runde Sonnenbrillen, auch ein Gehstock. So schlendern die Sapeurs am Wochenende durch die Straßen der kongolesischen Hauptstadt. Anderer Blicke sind sie sich sicher. Ein forscher Schritt, eine impulsive Geste, eine fast rabiate Selbstdarstellung sollen zeigen: Das hier, die „Sapologie“, ist kein Spaß, sondern das Leben schlechthin.
Narzissmus als einziger „-ismus“
Die Sapeurs von Brazzaville stellen wohl eine der eigenwilligsten Subkulturen Afrikas dar. Eine Bewegung, die die Mode zur Religion erhoben hat. Für einen 1.000-Dollar- Anzug darf auch gehungert werden, so beschreibt der Sapeur Michel aus Süd-Brazzaville das Sape-Credo: „Ein kongolesischer Sapeur ist glücklich, selbst wenn er nichts zu essen hat. Solange er die passende Kleidung trägt, nährt das die Seele und bereitet dem Körper Lust.“ In einem Land, in dem Stundenlöhne wenige Cent bringen und geregelte Arbeit vielfach fehlt, ist das kein unwahrscheinliches Szenario. Der provokante Gegensatz zwischen staubigen Straßen und Haute Couture zieht immer wieder auch die Aufmerksamkeit ausländischer Reporter an. Auch wenn vielfach betont wird, dass die Sapeurs bei den Einwohnern Brazzavilles sehr respektiert würden, klingen auch die Beobachtungen eines Journalisten Ende der 1980er Jahre sehr glaubhaft . Er schrieb, dass speziell die ältere Bevölkerung die Sapeurs als Affront ansehe. Während sie selbst (Mobutus) Authenticité, Anti-Kolonialismus und Marxismus als Werte hochhielten, wäre der einzige „-ismus“ der Sapeurs jener des Narzissmus. Und anstatt von kritischem Bewusstsein wäre deren Manifest einzig in den Society-Glossen französischsprachiger Zeitschrift en wie „Africa Elite“ und „Jeune Afrique“ zu fi nden. Ähnlich beurteilt das Wilfried N’Sondé, der in Brazzaville geboren wurde und nach einer Station in Paris seit einigen Jahren in Berlin als Sozialarbeiter und Autor lebt. N’Sondé hält die Sapeurs schlicht für eine Party-Bewegung von Männern mit sehr konservativer Ausrichtung. „Ich glaube nicht einmal, dass sie sich gegen Traditionen stellen, sie sind von ihren Werten her sogar sehr konservativ. Sie führen eine Tradition der geschmackvollen Mode weiter, die schon christliche Missionare im 16. Jahrhundert über kongolesische Könige aufzeichneten.“ N’Sondé, der mit dem Buch „Das Herz der Leopardenkinder“ bekannt wurde, reiste zuletzt vor zwei Jahren nach Brazzaville. Da sorgten vor allem seine kaputten Jeans für Aufregung. N’Sondé: „Die fanden das sehr unkonventionell. Die Leute meinten: Du bist doch Schriftsteller, wie kannst du mit löchrigen Hosen herumlaufen? Sie glaubten, ich müsse Sapeur sein, denn das sei die Realität, die man anstrebe. Aus ihrer Sicht waren die größten Sapeurs wohl der französische und der kongolesische Präsident.“ Für die Jeans fand sich schließlich aber doch eine Erklärung. Man habe es hier wohl mit einem Vengeur zu tun, einer etwas weniger gestylten Spielart der Sapeurs. N’Sondé selbst steht den Dandys aus dem Kongo durchaus ablehnend gegenüber: „Die Sapeurs sind Leute, die alles vernachlässigen, nur um gut auszusehen. Es wäre aber wichtig, das Land gut aussehen zu lassen und nicht nur sich persönlich. Man könnte auch die Politik gut aussehen lassen. Ich hoffe, das wird sich einmal auf andere Bereiche des Lebens ausdehnen.“ Dennoch gesteht der Autor den Dandys eine – wenn auch oberflächliche – Strategie zu: der, der Armut zu trotzen. Eine sozialkritische Bewegung würde daraus aber nicht mehr. Auch wenn N’Sondé es geschafft hat, nach Frankreich zu gehen, scheint sein Fokus für die Sapeurs unverständlich. Der Autor hat kürzlich seinen neuesten Roman präsentiert. In „Le silence des esprits“ trifft ein illegaler Einwanderer auf eine ältere, einsame Französin. Das Buch wartet noch auf eine deutsche Übersetzung.
Häretiker und die „Neue Sape“
Losgetreten wurde die Bewegung im Wesentlichen von Papa Wemba, einem der bekanntesten Musiker der Demokratischen Republik Kongo, deren 9-Millionen-Hauptstadt Kinshasa dem bescheidenen Brazzaville auf dem gegenüberliegenden Ufer des Kongo mächtig Konkurrenz macht. Wemba gab Ende der 1970er Jahre die Parole aus, Kleidung sei die neue Religion. Er dockte damit an jene Exil-Kongolesen an, die aus Frankreich einen kunstvoll angefertigten Lebensstil nach Hause brachten. Dass hier die Styles einer ehemaligen Kolonialmacht gegen die anti-westlichen Kleidervorschriften des kongolesischen Diktators Sese Seko Mobuto trafen, sorgte für besondere Ambivalenzen. Wilfried N’Sondé glaubt, dass diese Erfahrungen mittlerweile keine Rolle mehr spielten. Die Sapeurs seien zumeist junge Burschen, die in ihren ganz eigenen sozialen Sytemen agieren und sich aus den Kulturen unbelastet nehmen, was ihnen zusagt. Neue Fronten haben sich mittlerweile aufgetan. Gang-Rivalitäten wie im US-amerikanischen Hip-Hop wie etwa zwischen den Anhängern der in den 1990ern ermordeten Rapper Notorious B.I.G. und Tupac Shakur seien in Mode. Nur, dass im Kongo kein Blut fließt. Gewalt, heißt es, sei nicht elegant. Papa Wemba, der sich „Pape de la sape“, also „Papst der Sapeurs“, hat sich mittlerweile aber von der Sape abgewandt. Als der zentralafrikanische Superstar vor einigen Jahren inhaft iert wurde, weil er gegen Bezahlung zahlreiche Menschen als vorgebliche Mitglieder seiner Band nach Frankreich brachte, distanzierte er sich von der Bewegung. Hatte er die „SAPE“ – die Société des Ambianceurs et Persons Élégants – als neue Religion populär gemacht, so predigt er seither das Christentum. Mittlerweile wird auch von anderen Häretikern berichtet. Ein Mann namens King Kester Emeneya verglich die hohe Schule der Sape mit einer Droge und bereute, für das Geld nicht mehrere Häuser statt der Anzüge gekauft zu haben. Längst hat die Bewegung aber von Kongo-Brazzaville auch in andere Staaten ausgestrahlt. Neben Kinshasa werden Sapeurs auch im südafrikanischen Durban gesichtet. Eine der Gruppen soll gerne die kongolesische grün-gelb-rote Fahne mit sich führen. In Paris hat im März dieses Jahres der fi ndige Händler Jocelyn Armel einen Designershop für Sapeurs eröffnet. Das afrikanische Dandytum erobert damit Frankreichs Hauptstadt zurück, wo es seinen allerersten Ausgang genommen haben soll. Denn als erster Sapeur überhaupt gilt Grenard Andre Matsoua, ein kongolesischer Politiker, der 1922 von Paris nach Brazzaville heimkehrte, gewandet in eine eigene Kreation aus afrikanischer und westlicher Mode. Matsoua stritt noch für Menschenrechte und gegen die französischen Kolonialherren. Auch der Unternehmer Armel will nach Brazzaville zurückkehren, um dort mit einem Shop zu expandieren. Das sei aber schwer, sagt er, weil afrikanische Fabrikate, wie er sie statt der europäischen führe, dort nicht akzeptiert würden. Es wäre Zeit, sagt Armel, dass die AfrikanerInnen wieder stolz auf ihren Kontinent sind. Möglich, dass die Sapeurs von heute das ja sind. Auch wenn sie markentechnisch ganz woanders angelangt sind. Verweigert werden Fabrikate aus China, Japan ist hingegen top angeschrieben. Etwa „Commes des Garçons“, berühmt geworden durch die ersten Kollektionen, die als „postatomarer Fetzenlook“ verunglimpft wurden: Kleidung mit Löchern, Kordeln statt Gürtel, ein Look der Armen. Oder auch: Issey Miyake, der insbesondere mit farbenfrohen, leichten Stoffen arbeitet, die individuell getragen und drapiert werden können. Miyake fällt besonders durch seine Damenkollektionen auf. Von weiblichen Sapeurs ist allerdings kaum etwas bekannt.