Entwicklungshelfer in Österreich
Der Pfarrer ist nach wie vor Respektsperson. Auch wenn er schwarz ist. Dann eben ein bisschen weniger. Porträt zweier afrikanischer Priester in Österreich.
Reportage: Michael Weiß, Fotos: Karin Wasner
Allerheiligen in Stillfried ist genau so, wie man sich einen katholischen Hochfeiertag in einem kleinen österreichischen Dorf vorstellt. Die Straßen sind leer, was aber nicht unbedingt heißt, dass alle Menschen in der Kirche sind. Zu Mittag stehen vor dem Wirtshaus etwa doppelt so viele Autos wie am Vormittag vor dem Gotteshaus. Die Kirche, gelegen auf dem einzigen Hügel weit und breit, umgeben von einem kleinen Friedhof, ist selbst zum Feiertag nicht ganz gefüllt. Auch in der Kirche entspricht alles dem Klischee: Durchschnittsalter jenseits der 50, die Orgelmusik klingt bei jedem zweiten Ton falsch und der Gottesdienst verläuft eher schleppend als feierlich. Nur eines ist anders: Aus dem Altarraum klingt eine Stimme mit ungewöhnlichem Akzent. Hier, mitten in der Peripherie des niederösterreichischen Marchfelds, arbeitet einer von 28 afrikanischen Priestern der Erzdiözese Wien. Sie haben wie alle anderen ImmigrantInnen mit einer tief verwurzelten Fremdenfeindlichkeit zu kämpfen, müssen aber aufgrund ihrer Arbeit damit umzugehen lernen. Dabei prallen Rassismus, der Respekt der ÖsterreicherInnen vor katholischen Würdenträgern und deren christliche Werte von Toleranz und Nächstenliebe
unweigerlich aufeinander.
Christlich mit Vorbehalt
„Ich habe mich hier gut eingelebt“, erzählt Pater Bonaventura Okitakashi Lama, Pfarrer von Stillfried, Grub und Ollersdorf im Bezirk Gänserndorf. Er wolle eigentlich in Ruhe seiner Arbeit nachgehen und deshalb keine Interviews geben, steht auf dem Zettel, den er zum Interview überreicht. Offenbar um Missverständnissen vorzubeugen. Nun mache er eine Ausnahme, ungern allerdings. Während des Gesprächs spricht Pater Bonaventura sehr bedacht, ja fast vorsichtig. Ob das auf die generell eher negative Einstellung der Gesellschaft gegenüber Religion zurückzuführen ist oder auf Angst vor rassistischen Anfeindungen, lässt sich kaum ausmachen. Er selbst habe noch keine Erfahrungen mit offenem Rassismus gemacht, betont Pater Bonaventura: „Die Leute waren zwar teilweise reserviert, haben mich aber von Anfang an gut aufgenommen.“ Der Anfang, das war 1999, als er nach drei Jahren in Wien aufs Land kam. Seine Gemeindemitglieder sehen ihn etwas anders. „Es war zu Beginn schon schwierig“, erinnert sich eine Kirchenbesucherin, „vor allem, weil er auch noch nicht gut Deutsch konnte. Aber mittlerweile haben wir uns schon zusammengerauft.“ Initiativen, um die Gemeinschaft zu beleben oder zu stärken, gingen trotzdem kaum vom Herrn Pfarrer aus. Auch heute noch nicht. Viele würden ihn deshalb nach wie vor als distanziert empfinden. Obwohl offensichtlich selbst nach elf Jahren noch unter der Oberfläche Skepsis vorherrscht, meint Lama selbst nur: „Wir sind hier in Stillfried schon wie eine große Familie.“
Im Vergleich zu dem, was er aus Afrika kennt, war das katholische Gemeindeleben in Österreich ein regelrechter Kulturschock, so viel gibt er zu. Pater Bonaventura ist als dritter Sohn einer katholischen Familie in einer Kleinstadt in der Demokratischen Republik Kongo aufgewachsen. Vom Engagement des dortigen Priesters für die Gemeinde war er derart begeistert, dass er beschloss, ebenso für die Menschen da sein zu wollen. 1984 wurde er zum Priester
geweiht, nach zehn Jahren in verschiedenen Pfarren schickte ihn der Bischof zum weiteren Studium nach Österreich. Das sei Tradition, betont Pater Bonaventura. „Meine Überraschung war groß, weil Österreich in unserem Land nicht sehr bekannt ist, und ich mir außerdem nie gedacht hätte, dass ich in meinem Leben noch Deutsch lernen werde.“ Eigentlich hatte er mit einem französischsprachigen Land gerechnet, dementsprechend schwierig war die Eingewöhnungsphase für den jungen Priester, der weder Deutsch noch Englisch sprach. Fast kitschig mutet die Geschichte seiner Ankunft am Wiener Flughafen an, bei der er zum ersten Mal in seinem Leben Schnee zu sehen bekam.
Mittlerweile lebt Pater Bonaventura seit elf Jahren in Stillfried. Momentan teilt er sich den Pfarrhof mit seiner Nichte, die für ihn kocht und den Haushalt führt. Auch das ist ein Unterschied zu Afrika. Dort wohnt der Priester nicht einsam in einem alten Pfarrhaus, es kommt ihm vielmehr eine ganz wesentliche Rolle in der Gesellschaft zu. „In einem Pfarrhaus wohnen zwei bis drei Priester“, erzählt Bonaventura, „dazu ein Koch und zwei männliche Hausangestellte. Der Pfarrer steht im Mittelpunkt. Er ist Vater für alle und wird auch so betrachtet. In Afrika ist der Priester nicht nur Seelsorger, sondern auch Entwicklungshelfer, Retter in der Not, Dorfvorstand, etc. Man wendet sich in allen Dingen an ihn.“ Wie groß die Umstellung gewesen sein muss, lässt sich nur erahnen. Ein wenig Wehmut schwingt unweigerlich mit, wenn Pater Bonaventura die Lage in Europa analysiert: „Hier hat die Entwicklung der Gemeinden eine andere Richtung eingeschlagen als in meiner Heimat. Die Versuchung ist sehr groß, dem Priester, da er nicht ständig anwesend ist, immer weniger Bedeutung zuzumessen.“ Für einen weiteren Friedhofsbesucher zu Allerheiligen scheint der Pfarrer aus Afrika hingegen überhaupt keine Bedeutung mehr zu haben. Er sei aus der Kirche ausgetreten, erzählt der Mann, trotzdem habe er mitbekommen, dass das nicht ganz glatt laufe mit dem Afrikaner. „Kein Wunder“, sagt er, „der hat sich ja am Anfang aufgeführt wie der ärgste Pascha, hat sich bedienen lassen und sich dauernd selbst irgendwo
eingeladen. Und bei der Messe waren dann gleich einmal drei, vier Neger da.“
Homosexualität ist unnatürlich
Solche Probleme sollte Pater John Njenga Nganga eigentlich nicht haben. Auch er ist als Priester von Afrika – aus Kenia – nach Österreich gekommen, um weiter zu studieren. Allerdings wurde er keine österreichische, sondern die englischsprachige afrikanisch-katholische Gemeinde von Wien übertragen.
Trotzdem gab es Startschwierigkeiten: Zu Beginn sei er skeptisch gewesen, erzählt Pater John, weil in Wien hauptsächlich Westafrikaner lebten. „Die haben einen ganz anderen Lebensstil als wir Ostafrikaner. Wenn zwei Westafrikaner reden, hört sich das an wie zehn.“ Auch im Gottesdienst äußert sich das. „Wir tanzen und klatschen zwar auch, aber lange nicht so ausgelassen, ja fast unkontrolliert.“ Pater John hat sich mittlerweile daran gewöhnt. Die Tatsache, dass auch er Probleme hatte, sich mit der neuen Situation zurechtzufinden, macht aber deutlich, wie schwer es für einen afrikanischen Priester sein muss, von einer lebendigen Gemeinde in eine lethargische Landpfarre in Österreich gesteckt zu werden. Pater John will an diesen Erfahrungen dennoch festhalten, solange er in Österreich ist. Und versuchen, den Menschen die Freude am Glauben zurückzugeben. „Wo ich herkomme, ist Kirche nicht Pflicht, sondern eine Herzensangelegenheit, die das ganze Leben durchdringt“, sagt er, betont aber gleichzeitig, dass er die ÖsterreicherInnen nicht für weniger gläubig hält
als die KenianerInnen. Sie seien nur davon abgekommen, sich diesen Glauben auch einzugestehen und danach zu leben. Vor allem die materialistische Mentalität Europas sei daran schuld, aber eben auch das Gefühl der Leute, sie würden zum Glauben gezwungen. „Bei uns gibt es zum Beispiel keine verpflichtende Kirchensteuer, aber trotzdem weiß jeder, dass er seinen Beitrag leisten muss, und tut das auch.“ Trotzdem – da ist sich Pater John sicher.
Denn: „Früher oder später werden sie alle zum Glauben zurückkommen.“
Ansichten wie diese findet man in Österreich selbst in den höheren Rängen der katholischen Kirche nur noch selten. Auch für Pater Bonaventura ist es schlicht unvorstellbar, dass jemand nicht an Gott glaubt. Überhaupt finden sich die beiden Priester aus Afrika bei gesellschaftlich konfliktträchtigen Themen eher in der konservativen Ecke wieder. Homosexualität bezeichnen beide als etwas Unnatürliches. In Afrika habe es das nicht gegeben, bevor man es sich von Europa abgeschaut habe. Auch dem Islam gegenüber geben sie sich skeptisch bis verurteilend. Umso überraschender ist Pater Johns Haltung zum Thema Verhütung: Er ist zwar vorsichtig in seinen Formulierungen und betont, dass das Leben um jeden Preis zu schützen und Verhütung deshalb verboten sei. Gleichzeitig erzählt er aber von Familien in Afrika, die schon viele Kinder haben und bei denen natürliche Verhütungsmethoden fehlgeschlagen seien. Er selbst müsse die Lehrmeinung vertreten, sagt er, wisse aber, dass diese nicht immer eingehalten würde. Und schließlich sei ja die Toleranz eine der größten Lehren des Christentums. Pater John bleibt also bei der Lehrmeinung, macht aber deutlich, dass er von niemandem verlangt, ihr blind zu folgen.
Seine Geschichte zeigt vor allem eines: Wenn viele afrikanische Priester in ihren Ansichten und in ihrer Kultur auch eher konservativ wirken mögen, so dominiert in ihrem Weltbild doch der christliche Gedanke von Nächstenliebe und Toleranz. Das zeigt sich in der Debatte über Verhütung, aber auch in Situationen des Alltagsrassismus: „Wenn in der Straßenbahn jemand aufsteht, weil ich mich neben ihn setze, dann freue ich mich“, scherzt er, „weil ich dann mehr Platz habe.“ Und Pater Bonaventura hat vor allem die große Familie in seiner Gemeinde im Blick, wo unter der Oberfläche xenophobe Ressentiments nur so brodeln. Mag sein, dass die Erfahrungen der beiden Priester sich insofern von denen anderer schwarzer Menschen in Österreich unterscheiden, dass man als Priester im katholischen Österreich nach wie vor ein gewisses Pflichtvertrauen genießt – vor allem bei den fleißigen KirchgängerInnen, mit denen die meisten Kontakte bestehen. Vielleicht lassen die Priester jene Toleranz und Nächstenliebe, die sie predigen und leben, aber auch über latente Ressentiments hinwegblicken, die andere bemerken und auch zu spüren bekommen würden.