Asylpolitik ohne Innenministerium
Hubert Feichtlbauer, langjähriger Vorsitzender von „Wir sind Kirche“, über die Symbolfigur Maria Fekter, verschobene Werte in der ÖVP, vergebene Chancen rund um die Zogajs und warum Zuwanderung und Asyl im Innenministerium nichts verloren haben. Interview: Gunnar Landsgesell, Maria Sterkl
Herr Feichtlbauer, Sie sind, wie Roland Düringer oder Willi Resetarits, Proponent der Willenskundgebung „Machen wir uns stark“ am 18. September am Heldenplatz. Haben Sie lange überlegt, zuzusagen?
Nein, aber ich habe nicht hundert objektive Grundlagen geprüft, um eine Entscheidung zu treffen, sondern bin der Einladung von Simon Inou, den ich schon lange kenne, gefolgt. Er konnte während einer Veranstaltung, die der Katholische Publizistenverband in den 1990er Jahren organisiert hatte, aus politischen Gründen nicht mehr nach Kamerun zurück. Obwohl, Bedenken zum Mitmachen hatte ich schon, weil ich acht Tage später in die Klasnic-Kommission (zur Aufklärung der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs in der Kirche, Anm.) berufen wurde. Da kann leicht der Eindruck entstehen, da will sich einer noch mit aller Kraft wichtig machen.
Welche Inhalte sind Ihnen wichtig?
Ich bin mit der generellen politischen Linie gegenüber Zuwanderern, Asylsuchenden oder auch so genannten Wirtschaftsflüchtlingen nicht einverstanden. Ich vermisse hier, kurz gesagt, eine menschenwürdige Politik.
Auf der Pressekonferenz zur Kampagne haben Sie einen Papst, der vor 1.500 Jahren gelebt hat, mit den Worten zitiert: Was alle angeht, soll von allen abgehandelt werden. Worauf spielen Sie an?
Das war ein urchristlicher Grundsatz von Papst Leo I. Er machte sich für eine möglichst breite Kirchenbürgerbeteiligung stark, aber ich denke, so ein Ansatz wäre auch in der heutigen Gesellschaft eine sehr große Hilfe für die Erarbeitung guter Gesetze. Wenn es durch diese Initiative gelänge, alle, oder zumindest viele Gruppen der Gesellschaft, von Parteien über NGOs bis zu Betroffenen oder deren Anwälten, an einen Tisch zu bringen und eine sinnvolle Strategie zu Fragen wie Asyl und Zuwanderung zu erarbeiten, dann wäre das ein großer Erfolg. Es würde auch die Öffentlichkeit rasch überzeugen, dass man die Gesamtthematik nicht dem Innenministerium als dem Sicherheitsministerium zuordnen kann, sondern ein eigenes Ressort, ein Ministerium oder ein Staatssekretariat für alle diese Fragen geschaffen werden muss.
Was erwarten Sie sich davon?
Die notwendige Trennung von Sicherheitsfragen von jenen der Integration. Der Innenminister muss diese Fragen ja aus ganz anderen Gesichtspunkten sehen. Denken Sie an Innenminister Strasser: Der hat in seiner Anfangszeit mehrmals öffentlich die Position vertreten, jeder Asylwerber sollte in Österreich auch arbeitsberechtigt sein, dann könne man ihm nicht Schmarotzertum vorwerfen. Man könne die Leute ja nicht in lange Verfahren verwickeln und sie jahrelang daran hindern, sinnvolle Arbeit zu verrichten. Diese Position hat Strasser dann nach ungefähr einem Jahr aufgegeben, mit einer eher diffusen Begründung, dass das nicht geht, und ist dann ohne Zögern eine andere Linie gefahren. Also, im Innenministerium sollen diese Agenden wirklich nicht bleiben, egal, welche Partei es gerade besetzt.
Das Thema Zuwanderung erregt die Gemüter erstaunlicherweise mehr als soziale Themen oder Arbeitsmarktpolitik. Während die einen neue Verschärfungen verurteilen, klatschen die anderen Beifall. Wie hat sich Ihrer Beobachtung nach in den vergangenen zehn Jahren das öffentliche Bewusstsein diesbezüglich verändert?
Denken Sie an das Lichtermeer von 1993. Das war der Moment, als vielen Bürgerinnen und Bürgern erstmals bewusst geworden ist, dass man sich entscheiden muss: Will man Vorbehalte pauschal allen Ausländern gegenüber aufrechterhalten oder sich ein differenziertes Bild machen? Heute scheint man wieder an so einem Punkt angekommen. Es wird nur noch von Missbräuchen des Asylrechts gesprochen, man glaubt, sich gegen alle Asylwerber abschirmen zu müssen. Es ist Zeit, dass sich die Zivilgesellschaft wieder rührt.
Die Politik der Innenministerin scheint auf Polarisierung angelegt. Ist diese Politik für Sie nachvollziehbar?
Parteipolitisch schon. Die ÖVP will offenbar das Feld nicht den Freiheitlichen überlassen. Mit Maria Fekter hat die ÖVP eine Frau gefunden, die sich dafür überproportioniert zu eignen scheint. Fekter erhält in der Bevölkerung aber auch Zustimmung, ich glaube, weil viele der so genannten Gutmenschen – ein schreckliches Wort, wenn man es negativ gebraucht, denn jeder sollte doch streben, Gutes zu tun – Asylwerbern nur Gutes zuschreiben und Missbrauch nicht sehen wollen. Ein solches Schwarz-Weiß-Denken ist ein Fundamentalismus, den es in allen weltanschaulichen, religiösen und politischen Strömungen gibt. Unabhängig davon müsste man Fekter aber daran erinnern, dass alle Menschen, also auch Asylwerber, Menschenrechte haben. Niemand läuft ohne gute Gründe von zu Hause weg. Die Bilder, die mittlerweile propagiert werden, dass Asylwerber noch einen Urlaub auf den Kanaren einschieben, bevor sie wieder Österreich verlassen müssen, sind ja abenteuerlich.
Auf der Plattform sind doch auch die Gutmenschen, die Sie ansprechen, vertreten. Ist es Ihnen ein Anliegen, mit ihnen in Diskussion zu treten, auch bestimmte Einstellungen zu relativieren?
Nein, ich verstehe diese Anliegen und trage sie mit. Darüber brauche ich keine Diskussion. Mir ist es nur wichtig, beide Seiten zu sehen und differenzierter zu argumentieren. Beide Seiten sollten das tun.
Sie meinen also nicht, dass Fekter dieser politischen Linie entspricht, weil sie Mehrheiten in der Bevölkerung ortet?
Doch. Fekter erhofft sich sicherlich einen starken Zulauf mit ihrer Politik. Es ist ja auch nicht grundsätzlich schlecht, der FPÖ möglichst viele Wähler abspenstig zu machen. Ich denke aber, man könnte das auch durch eine klare Politik auf Basis der Menschenrechte tun. Zusätzlich ließen sich Missbräuche in einzelnen Fällen bekämpfen, Verfahren auf maximal zwei Jahre beschleunigen, und so weiter. Warum man nicht für jene, die schon fünf, sechs, sieben Jahre hier sind, eine großzügige humanitäre Bleiberechtsregelung geschaffen hat, ist mir aber unbegreiflich.
Vielleicht muss man dazusagen, die Verfahrensdauer wurde ja schon reduziert, durch Personalaufstockungen. Nur ist nicht Fekter dafür verantwortlich, sondern Regierungen davor.
Ich bin ohnehin dagegen, dass man die Debatte auf eine Fekter-Debatte reduziert. So wichtig ist sie allein nicht, aber sie symbolisiert eine Grundhaltung.
Eine Grundhaltung, die sich bei der Familie Zogaj auf voller Linie durchgesetzt hat. Hier musste die redundante Forderung nach Integration erst durch eine Medienkampagne von Rechts ausgehebelt werden.
Im Fall Zogaj bin ich der Meinung, dass das eine unglaublich unentschuldbare Gelegenheit war, die hier verpasst wurde, um humanitäres Bleiberecht zu praktizieren. Da hat die Regierung mit ihrem Streben, der FPÖ ein paar Stimmen wegzunehmen, selbst ein außerordentliches Symbol für inhumane Politik gesetzt, sicherlich auch getrieben von Stimmen, die da meinten: Na, dann kommen Fünftausend andere, die gleich gut integriert sind wie die Zogajs... Ich glaube das nicht, aber selbst wenn! Dann sage ich: So what? Dann hätten auch diese Fünftausend ein humanitäres Bleiberecht erhalten müssen, ohne dass Österreich daraus ein Unglück erwachsen wäre.
Kann die Strategie, stärker Demagogie in die ÖVP hineinzutragen, überhaupt erfolgreich sein?
Nein. Man denkt da wohl an die CSU in Bayern, die rechts von sich keinen Platz lassen wollte. Nur wird vergessen, dass damals rechts von ihr politisch nichts los war. Als Partei mit absoluten Mehrheiten kann man sich so einen Flügel ja leisten und im Mainstream dennoch eine andere Politik vertreten. Anders die ÖVP, die, als die FPÖ schon 27 Prozent hatte, meinte: Jetzt reißen wir denen wieder einen Brocken heraus, indem wir halb und dreiviertel so radikal wie die formulieren! So etwas ist keine politische Großtat.
Was wäre eine politische Großtat? Das Bekenntnis, dass Österreich ein Einwanderungsland ist?
Im Grund sind alle Parteien dafür, bestimmte Leute einwandern zu lassen. Den einen geht es um den wirtschaftlichen Nutzen, den anderen um bestimmte Menschengruppen - Strache würde ja auch Serben einwandern lassen, von denen er Wählerstimmen erwartet. Aber welche Regierung würde schon ohne Wenn und Aber verkünden: Wir sind ein Einwanderungsland?
Die deutsche Regierung beispielsweise.
Naja, auch Außenminister und ÖAAB-Obmann Spindelegger sagte, er wünscht sich mehr Zuwanderung. Aber dass die ÖVP sich zum Terminus Einwanderungsland bekennt, wird man wohl so schnell nicht erreichen. Das ist auch nicht entscheidend, es kommt auf das politische Verhalten an. Realistisch und zumutbar ist, dass wir Schutzbedürftige und solche aufnehmen, die das Land braucht.
Das bedeutet die Beschränkung auf humanitäre Pflichten und den eigenen Nutzbarkeitsdiskurs. Ein kritischer Befund. Sie selbst haben als Vorsitzender der Initiative „Wir sind Kirche“ viel Erfahrung mit zivilgesellschaftlichen Initiativen gesammelt. Beobachten Sie, dass der Gemeinschaftssinn abgenommen hat?
Ja, definitiv. Nach dem Krieg neigte man zur Verdrängung und sagte, jetzt streiten wir nicht, wer Schuld hatte, sondern jetzt spucken wir in die Hände und bauen den Staat wieder auf! Jeder, der sich daran beteiligt hat, hat das auch in der Brieftasche gespürt. Auch hier waren natürlich schon eigene Interessen im Spiel. Heute ist es schwer, jemanden zu überzeugen, sich für die Menschenwürde auch der Zuwanderer einzusetzen, weil die Vorteile davon nicht gleich, sondern erst eine Generation danach spürbar werden.
Sind Jugendliche heute unpolitischer?
Dass sich die Jugend überhaupt nicht für Politik interessiert, das hätte es zumindest nach dem Krieg nicht gegeben. Die Erweckung des „Ich“ in der Gesellschaft ist sicherlich etwas positives, früher verschwanden die Interessen des Einzelnen ja unter denen der Partei oder der Klasse oder auch der Familie. Die Eltern durften Kinder nicht loben, weil die dann verdorben würden. Die Betonung der Individualität wird aber längst übertrieben, letztlich engagieren sich Menschen vor allem dort, wo ihre eigenen Interessen befriedigt werden sollen.
Wie beurteilen Sie die Selbstbeschreibung der ÖVP als christlich-soziale Partei? Ist das Ihrer Ansicht nach angemessen?
Sie ist weit weniger angemessen als vor 50 Jahren. Und sie war schon damals anders zu verstehen als in ihren Ursprüngen Ende des 19. Jahrhunderts, als auch Kapläne oder Adelige meinten, man könne Industriearbeiter nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Es gibt auch heute noch ÖVPler, die das nicht vergessen haben. Sie sprechen aber lieber von christlich-demokratischen Werten, erstens, weil das Christlichsoziale im Ständestaat eine Abwertung erfahren hat, und zweitens, weil man glaubt, man tut sich leichter, wenn man sich als demokratisch und nicht als sozial bezeichnet. Diese Gruppe ist sicherlich kleiner geworden, aber noch kann sich die Partei nicht erlauben, sie abzuschreiben. Würden diese Leute aufstehen und eine Entscheidung fordern: Wollt ihr weiter rechts im Fischteich angeln oder euch den christlich-sozialen Wählern zuwenden, sonst gehen wir - dann würde sich die Partei wahrscheinlich auch heute noch für christlich-sozial und nicht für christlich-blau entscheiden.
Das klingt so, als wäre es fast eine Hürde für eine Karriere in der ÖVP geworden, sich zu diesen Werten zu bekennen.
Nein, das nicht. Es gibt natürlich immer Konjunkturen, nach der schwarzblauen Regierung war die Möglichkeit, christlichsoziale Gedanken einzubringen, wieder größer. Ich glaube aber, es ist ungefähr in allen Parteien gleich: Das Pragmatische triumphiert, die Persönlichkeit ist gesucht. Wenn man glaubt, einen Sunny Boy oder ein Sunny Girl für die Politik entdeckt zu haben, dann nimmt man die, und erst hinterher fragt man sie genauer, was sie sich unter ihrem Einzug in die Politik eigentlich vorstellen. Das führt zu bekannten Ergebnissen. Fast hätte man ja auch Grasser zu so einem Sunnyboy-Spitzenkandidaten gemacht, wenn es nicht im letzten Moment verhindert worden wäre.
Sie stammen aus Oberösterreich, gerade dort mobilisierten in den vergangenen Jahren viele ÖVP-Bürgermeister bei Abschiebungen langjähriger Mitbürger gegen die eigene Parteizentrale. Besteht nicht eine unheimliche Differenz zwischen der Basis und der Spitze?
Auf der Gemeindeebene ist diese Werthaltung sicherlich weit stärker vertreten. Es ist auch unbestreitbar, dass Landeshauptmann Pühringer einer der eindeutigsten Vertreter einer christlich-sozialen Politik ist. Das färbt auch auf die Bürgermeister ab.
Noch eine Frage zu dem von Ihnen erwähnten Lichtermeer von 1993. Damals gingen Hunderttausende gegen das „Österreich-zuerst“-Volksbegehren der FPÖ auf die Straße. Mittlerweile wurden die FP-Forderungen fast vollständig durch Regierungen umgesetzt. Hat man da so gesehen nicht wenig erreicht? Wie sinnvoll ist so eine Manifestation?
Ich würde nicht sagen, dass man wenig erreicht hat. Die erzielte Bewusstseinsbildung wirkt nach. Wenn mir jemand in meiner Rolle als Kirchenreform-Anwalt sagt: „Ihr habt’s gar nichts erreicht“, dann bestreite ich das auch immer. Bei der Bewusstseinsschaffung wurde viel erreicht, alle Umfragen, auch im innersten kirchlichen Bereich, belegen unglaubliche Veränderungen. Sie schlagen sich nur noch nicht in einem einzigen Kanon des kirchlichen Gesetzbuches nieder. Aber Geduld, auch das kommt noch. Auch das Lichtermeer war nicht vergeblich, man kann mit solchen Veranstaltungen einer mutigen Politik oder solchen, die sie gerne betreiben würden, immer wieder den Rücken stärken.
Sie haben den Organisatoren der Kampagne empfohlen, nicht nur von Harmonie zu reden. Sie fordern eine offene demokratische Austragung von Konflikten, um Probleme besser zu lösen. Sind Ihnen die Organisatoren zu soft?
Ich habe gesagt, es ist schön, nicht polarisieren zu wollen, keine Feindbilder aufzubauen, keine Schuldigen zu suchen. Das klingt wunderbar, entspricht aber nicht der politischen Wirklichkeit. Demokratie baut auf Konflikten auf, deshalb sollte man nicht versuchen, mit oberflächlichen Harmonisierungsformulierungen Zustimmung zu erwerben. Dadurch wird niemand seine Meinung ändern, besser ist es, den Konflikt anständig auszutragen. Auch NGOs können in einem offenen Dialog mit differenzierenden Argumenten durchaus Sympathien gewinnen.
Zur Person:
Hubert Feichtlbauer, geboren 1932 in Oberösterreich. Studium der Staatswissenschaften an der Uni Wien und der St. Louis University (USA). Prägte u.a. als Journalist, Buchautor und Vorsitzender der Plattform „Wir sind Kirche“ die öffentliche Meinung. Feichtlbauer leitete als Chefredakteur Kurier, Wochenpresse und Die Furche. Er war Pressechef der Bundeswirtschaftskammer und Vorsitzender des Verbands der katholischen Publizisten Österreichs. 1998 wurde er zum Vorsitzenden der Plattform „Wir sind Kirche“ gewählt. Feichtlbauer ist Mitglied der katholischen Studentenverbindung K.Ö.St.V. Kürnberg im Österreichischen Cartellverband.