Zwei Euro sind genug
Der österreichische Pflegestreit hat sich in Wohlgefallen aufgelöst: Mit Amnestie, Wanderarbeitergesetz, 24-Stunden-Tagen und Stundenlöhnen von zwei Euro sind alle zufrieden, die vorher an Illegalität verdienten.
Von Norbert Mappes-Niediek
Stundenlöhne von knapp 1,20 Euro, 64-Stunden-Woche, zusätzlich täglich zehn Stunden Arbeitsbereitschaft, drei Stunden Nachtschlaf auf der Couch: Das ist in Österreich legal für Frauen, die kranke, behinderte und alte Menschen zu Hause pflegen. Die Wohlfahrtsverbände, der sozialdemokratische Sozialminister, die Gewerkschaften: alle einverstanden. Widerstand kommt nur von den Vermittlungsagenturen - sie sind gegen die Versicherungspflicht für „Hausbetreuerinnen”.
EU-widrig Was die große Koalition aus SPÖ und ÖVP sich im letzten Sommer ausgedacht hat und jetzt durchsetzen will, sei “klar EU-widrig” und eine „AusländerInnendiskriminierung”, hält allein der Wiener Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal fest.
Doch die Frauen, meist aus der Slowakei, neuerdings oft aus Rumänien, nehmen die Angebote gerne an. Das werde sich wohl in fünf, sechs Jahren ändern, sagt Mazal, „wenn sie merken, dass ihnen Rentenjahre fehlen.” Doch die Koalition hat gerade per Gesetz alle Rückforderungen ausgeschlossen - mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, die das Verfassungsgericht daran hindert, die Bestimmung zu kippen.
Im Wahlkampf 2006 wurde Thema, dass in Österreich bis zu 40.000 PflegerInnen aus den benachbarten neuen EU-Ländern illegal arbeiten, oft seit mehr als 15 Jahren. Vermittelt werden die Frauen (und wenigen Männer) von Agenturen mit Namen wie St. Elisabeth oder Pflegende Hände.
Per Sondergesetz "selbständig" Offiziell dürfen sie nur im Haushalt helfen, führen aber de facto alle Pflegetätigkeiten aus. Nach dem üblichen Rhythmus wechseln zwei Pflegerinnen sich ab, eine bleibt zwei Wochen rund um die Uhr, wird dann von der Agentur zurück in die Slowakei gefahren; für den Rest des Monats kommt die Kollegin. Per Sondergesetz „selbständig” Das neue Hausbetreuungsgesetz erklärt die Frauen kurzerhand für „selbständig”, verlangt einen Gewerbeschein. Ohne dieses Sondergesetz müssten die Frauen als scheinselbständig gelten und von den Agenturen angestellt werden, meint Arbeitsrechtler Mazal.
Eine Mindestbezahlung gibt es für die „Hausbetreuung” nicht. 50 Euro für bis zu 21 Stunden täglich, davon elf Arbeit und zehn Bereitschaft am Einsatzort, seien „nur ein Richtwert”, verbreitet SPÖ-Sozialminister Erwin Buchinger. In der Theorie ist die Wochenarbeitszeit auf 64 Stunden (ohne Bereitschaft) beschränkt.
„Normal sind 35 Euro am Tag”, sagt Klaus Katzianka, der die Agentur Europflege betreibt. Rechnet man, wie es EU-Regeln vorsehen, Bereitschaft am Einsatzort als Arbeitszeit, entspricht das 1,67 Euro Stundenlohn. „Manche zahlen auch nur 25 Euro”, sagt Katzianka, also unter 1,20 die Stunde – „aber das geht nur bei RumänInnen oder UkrainerInnen.” Wer weniger als 48 Wochenstunden arbeiten will, darf gar nicht erst nach Österreich einreisen.
Das neue Gesetz sieht vor, dass die „AusländerInnen” renten-, kranken- und unfallversichert sind; der Staat zahlt den Beitrag - den Vermittlern bleiben nur die Behördenwege. Das ist ihnen schon zu viel. Katzianka findet sie überflüssig. Die PflegerInnen seien doch in ihren Heimatländern versichert. Der Unternehmer, selbst seit Geburt behindert, hat angekündigt, seine etwa 300 Vermittelten nicht anzumelden. Er will mit einem Volksbegehren erreichen, dass jede/r ÖsterreicherIn „leistbare Pflege rund um die Uhr in Anspruch nehmen” kann.
Christlicher Dumpinglohn Auch die österreichischen Hilfsorganisationen wollen jetzt an dem Geschäft partizipieren: Die Volkshilfe steigt ebenso in die Vermittlung „selbständiger” Pflegerinnen ein wie das Hilfswerk und die katholische Caritas, meist mit Stundenlöhnen von 2,15 Euro. Man könne nicht anders, beteuert Beatrix Plochinger von der Niederösterreichischen Volkshilfe: „Unsere Kunden wollen es so.” „Wir haben da kein schlechtes Gewissen”, sagt Harald Blümel vom Wiener Hilfswerk: “Schließlich nimmt von denen niemand einem Österreicher den Arbeitsplatz weg.”
Ein schlechtes Gewissen hat nicht einmal die Gewerkschaft, auch wenn sie mehrfach für die PflegerInnen einen Mindestlohn gefordert hat. „Aber das ist jetzt Gesetz, was wollen wir machen?”, sagt ihr Chef Willi Steinkellner. Als Mitglieder nimmt die Gewerkschaft die slowakischen PflegerInnen nicht auf: „Die sind ja selbständig.”
Nachdruck mit freundlicher
Genehmigung des Autors.
(Frankfurter Rundschau vom 15.2.2008)
Norbert Mappes-Niediek ist freier Journalist, Österreich-Korrespondent der Frankfurter Rundschau und Autor mehrerer Bücher, u.a. die Frank-Stronach-Biographie „Let’s be Frank.” und „Die Ethno-Falle. Der Balkan-Konflikt und was Europa daraus lernen kann.”