Eine Küche für Blessing
Als 19-jährige wurde Blessing aus ihrem dorf gelockt und überlebte
den Höllentrip durch die Sahara, die Überquerung des Mittelmeers, Zwangsprostitution und Abschiebung.
Von Corinna Milborn und Mary Kreutzer
Blessing wirkt stark und gleichzeitig zerbrechlich. Es ist der Blick in die Vergangenheit, der sie zusammenbrechen lässt, und der Blick in die Zukunft, der sie plötzlich energiegeladen erzählen macht, welche Pläne sie mit einem eigenen Catering-Betrieb schmiedet. Sie ist schmal, trägt eine Bluse und Jeans und freut sich so sehr über die mitgebrachten Kleider, dass sie uns mehrmals um den Hals fällt. Wir treffen sie in einem Ausbildungszentrum für Opfer von Menschenhandel, in Benin City, Nigeria.
Freund versprach Hilfe Das Zentrum ist ein heller, freundlicher Bau, in dem zurückgeschobene Opfer von Frauenhandel ein Handwerk erlernen können: Kochen, Frisieren, Nähen und ein Computer-Basiskurs werden angeboten, außerdem psychologische Betreuung. Hinter Blessing an der Wand hängt ein Aufklärungsplakat: Ein Flugzeug und eine junge Frau sind darauf zu sehen. „Wenn du einen Job in Italien angeboten bekommst, sei misstrauisch: Es ist Frauenhandel!“, steht darunter. Für Blessing kommt die Warnung zu spät.
Wir begleiten Blessing in ihr Dorf, südlich von Benin City. Über einen Erdweg schlingern wir durch dichten grünen Wald. Auf den ersten Blick die reinste Idylle: Holzhütten mit Blätterdächern gruppieren sich um eine breite Wiese. Kinder spielen Fußball und schwimmen im glasklaren Fluss, die Frauen waschen Wäsche. Das Haus von Blessings Familie enthält eine Küche, ein Zimmer und ein Schlafzimmer. Es ist karg eingerichtet, und die Kinder, die heraustreten, tragen nur zerrissene alte T-Shirts. Die romantische Idylle verbirgt bittere Armut.
Es war ein Freund der Familie, der angesichts der aussichtslosen wirtschaftlichen Situation den Eltern anbot, ihnen zu helfen. Das war im Jahr 2000. Er würde Blessing mit einem Flugzeug nach Europa bringen, wo sie auf die Universität gehen und dann arbeiten könne. Blessing war damals 19. Der Vermittler nahm Blessing zu einem Voodoo-Priester mit, der ihr einige Haare und Schamhaare, Regelblut und abgeschnittene Fingernägel abnahm. Sie schwor, niemals ihre Schlepper zu verraten. Von Geld war keine Rede, von Prostitution schon gar nicht.
Der Vorgang ist typisch für die Rekrutierung von Frauen für das europäische Sex-Business: Die meisten werden mit falschen Versprechungen gelockt, sie haben kaum Möglichkeiten, sich zu informieren. Blessings Eltern erzählen mit Schrecken von den Monaten nach der Abreise ihrer Tochter. „Wir dachten, sie sei tot“, sagt die Mutter, und man sieht ihr den Schock noch heute an, acht Jahre später. Sie wusste nicht, was Blessing in Europa erwartete. Sie wusste nicht einmal, wohin genau sie gebracht wurde: „Abroad“, ins Ausland, hieß es einfach. Wenn Kinder ins Ausland gehen, ist das gut.
Im Nobelbadeort Blessing erzählt von ihrer fast zweijährigen Reise Richtung Europa, auf die sie die Menschenhändler quer durch die Sahara schickten. „Viele weinten, weil die Schwachen zurückgelassen wurden. Wir wussten, sie würden sterben. Viele, die mit mir von Nigeria aus loszogen, waren auf der Strecke geblieben. Ich musste ständig den Patron unterstützen, dabei sollte es doch umgekehrt sein! In Marokko gibt es viele bewaffnete Räuber und Mörder, viele davon selbst Flüchtlinge. Die Mädchen unserer Gruppe, die sie vergewaltigten, starben oft bei der Abtreibung.“
Als Blessing auch noch die Überfahrt auf einem Holzboot nach Spanien überlebte, hoffte sie, dass sie nun, in Europa angekommen, ein neues Leben beginnen könne. Doch die wahre Hölle stand ihr noch bevor. Mit gefälschten Papieren brachten sie die Menschenhändler von Spanien nach Italien. Direkt in das Haus ihrer neuen Besitzerin: einer Madame aus Nigeria im Nobelbadeort Alba Adriatica an der Mittelmeerküste. „Meine Madame ließ mich zwei Tage rasten und brachte mich dann zu einem Friseursalon. Am vierten Tag sagte sie: „Jetzt wirst du arbeiten.“ Ich fragte, was ich tun sollte, und dass man mir gesagt hätte, ich könnte an die Universität gehen. ‚Es gibt hier keine Universität’, lachte die Madame. ‚Das kannst du erst machen, wenn du alles bezahlt hast.’ Ich fiel aus allen Wolken.“
Der Versuch, sich der Prostitution zu verweigern, schlug fehl. Zunächst erhielt sie nur Drohungen, später Prügel. Antonio Runci und Luigi Vetere von der Abteilung Menschenhandel der Kriminalpolizei in Turin, erzählen: „Die physische Gewalt geht von der einfachen Ohrfeige über den Tritt bis zu Stockhieben. Wir hatten auch Fälle von Mädchen, deren Zuhälterin sie mit Stöckelschuhen am Kopf verletzt hat. Andere wurden mit Elektrokabeln ausgepeitscht.
“ Schwester Eugenia, eine resolute Nonne, die in Turin Opfer von Menschenhandel betreut, musste wiederholt die Familien ermordeter nigerianischer Prostituierter ausfindig machen und die traurige Nachricht überbringen. „Aber oft erfahren wir nichts über die Toten. Niemand kennt sie, die Familien wissen nicht, wo sie sind. Man findet häufig nicht einmal die Körper.“ Blessing musste miterleben, wie ein Mädchen mit einem heißen Bügeleisen dermaßen gefoltert wurde, dass es an den Folgen starb.
Das Leben danach „Dann kamen die ersten Kunden. Ich war nicht mehr Blessing. Die, die ich einmal gewesen war, war tot. Weiße Männer schliefen mit mir, gaben mir Geld, und ich lieferte es ab. Manchmal kamen gar keine, manchmal fünf hintereinander. Wenn sie nicht zahlen wollten, dachte ich: „Gott, wie soll ich das überleben?“ Mitunter nahmen sie mich in einen Club mit, manchmal schliefen sie mit mir im Auto.“ Acht Monate später, Blessing hatte bereits die Hälfte ihrer „Schulden“ an ihre Zuhälterin abbezahlt, wurde sie während einer Polizei-Razzia aufgegriffen und sofort nach Nigeria abgeschoben. „Als ich das Dorf erreichte, weinten meine Eltern vor Freude, ich weinte auch. Sie hatten gedacht, dass ich schon lange tot sei. Ich aß dasselbe Essen wie vor meiner Abreise: Kasava.
Danach überfiel mich eine große Traurigkeit: Ich war so deprimiert, dass ich fast Selbstmord begangen hätte. Auch heute denke ich noch oft daran. Ich weiß gar nicht, wie ich diese Zeit überlebt habe.“
Wenn Blessing von ihren Plänen für einen Catering-Betrieb spricht, kommt Bewegung in ihre Gesichtszüge. Die Pläne scheitern jedoch derzeit am fehlenden Startkapital: Blessing hat ohne Hilfe keine Möglichkeiten, es aufzutreiben. In Europa hat sie 20.000 Euro für eine Madame verdient. Für ein neues Leben fehlen ihr jetzt noch 1.500 Euro. Sie scheinen unerreichbar.