In Deutschland unvorstellbar
Die Pflege-Situation in Deutschland ist der in Österreich nicht unähnlich.
Der Unterschied liegt in der politischen Kultur: Wie Österreich 40.000 illegalisierte PflegerInnen legalisieren will, wäre in Deutschland unvorstellbar. Von Joris Puiskens.
Nach langer und hitziger Debatte sollen in Österreich alle illegalisierten PflegerInnen des Landes in die Legalität übergeführt werden. Da das weder den Staat noch die Familien allzu viel kosten soll, hat sich die Politik kurzerhand auf ein Sonderarbeitsrecht für „Ausländer” geeinigt. Es regelt speziell vereinbarte Mindestlöhne (siehe „Ausbeutung, legalisiert” in dieser Ausgabe).
Damit wird ein Zwei-Klassen-System aber nicht abgeschafft, sondern vielmehr als zweierlei Arbeitsrecht legalisiert, indem nicht-österreichische PflegerInnen ganz einfach aus dem Hausbetreuungsgesetz per „Sonderstatus” ausgenommen werden.
Was in der innerösterreichischen Diskussion kaum jemand zu irritieren scheint, hält etwa der Freiburger Pflegewissenschaftler Thomas Klie in der deutscher Rechtskultur „einfach nicht vorstellbar”(, so Klie).
Zwei-Klassen-Modell Das Zwei-Klassen-Modell würde in Deutschland schon allein deshalb scheitern, weil die Gewerkschaften – auch hinsichtlich der Vertretung „ausländischer” Arbeitskräfte – anders agieren. Während es in Deutschland bereits seit 1972 in ausländerInnendominierten Branchen auch ausländerInnendominierte Betriebsräte gibt, ist das in Österreich noch immer ausgeschlossen – und zwar per Gesetz.
Ein für alle Nationalitäten gleich geltendes Arbeitsrecht wird von einigen Gewerkschaften nicht akzeptiert. Solche Diskriminierung ist in Österreich hingegen eine Selbstverständlichkeit.
„Ausländer-Status” juristisch geschaffen Die eigentliche Perfidie des Pflegegesetzes liegt aber in folgendem Mechanismus: Hört man sich in der Szene um, erfährt man immer wieder, dass die angeblichen WanderpflegerInnen aus dem Ausland in Wirklichkeit ständig in Österreich leben. Es geht also gar nicht um WanderarbeiterInnen, sondern um hier lebende MitbürgerInnen, die gezielt schlecht bezahlt und behandelt werden.
Das ist eine ausgesuchte Diskriminierung: „AusländerInnen” finden sich nicht aufgrund sozialer Umstände in einem bestimmten Segment des Arbeitsmarkts wieder, sondern werden gezielt nach dem Merkmal „AusländerInnen aus den neuen EU-Ländern” eben dorthin sortiert. Dieses Modell erinnert fatal an die Homeland-Politik Südafrikas.
Um seine Diskriminierung begründen zu können, machte das Apartheid-Regime in den Siebzigerjahren im Land lebende Schwarze juristisch zu AusländerInnen.
Diskriminierung durch nationale Gesetzgebung Auf gleiche Weise erklärt das demokratische Österreich hier lebende, hier arbeitende und hier polizeilich gemeldete MitbürgerInnen zu Fremden, um sie im Arbeitsrecht benachteiligen zu können. Diese Art von Diskriminierung widerspricht nicht nur den Freiheiten der Europäischen Union, sondern verletzt auch das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Kommission scannt regelmäßig nationale Gesetzgebungen nach versteckten Diskriminierungen, und der EuGH gibt ihr dabei fast immer Recht.
Zuletzt bekam Österreich in Sachen Hochschulzugang Probleme, weil seine Bestimmung eine versteckte Diskriminierung deutscher Studenten war. Ob diese Pflege-Lösung vor der EU hält, ist also mehr als fraglich.
Pflege als Sachleistungsprinzip Drei weitere Österreich-Spezifika fallen im Vergleich mit Deutschland auf. Erstens: Während in Österreich die Pflegeszene weitgehend von den kartellartig organisierten, meist parteinahen Verbänden dominiert ist, wie Caritas, Volkshilfe oder Österreichisches Hilfswerk, hat sich in Deutschland seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 ein Markt mit Preiswettbewerb entwickelt. Deshalb ist die Spanne zwischen den „offiziellen” und den „inoffiziellen” Kosten der 24-Stunden-Pflege in Deutschland auch lange nicht so groß wie in Österreich. Wo in Deutschland also der Markt Niedriglöhne schafft, werden sie in Österreich administrativ verordnet.
Zweitens: In Deutschland gilt in der Pflege das „Sachleistungsprinzip”. Was vom Arzt verordnet wird, wird von der Kasse übernommen, ohne dass der pflegebedürftige Patient in Vorlage treten müsste. Ist etwa zweimal täglich ein Verbandswechsel nötig, kommt zweimal täglich die Krankenschwester einer ambulanten Sozialstation. Zur reinen Pflege werden unterbezahlte SlowakInnen und RumänInnen im Gegensatz zu Österreich in Deutschland also nicht gebraucht. Für alles Nichtmedizinische, eine Haushaltshilfe oder das bloße Gesellschaft leisten, fühlt sich die Versicherung jedoch nicht zuständig.
Drittens: Während im ländlich-kleinstädtisch geprägten Österreich 80 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hauser versorgt werden, sind es im deutlich stärker verstädterten Deutschland nur knapp 50 Prozent. Der Verdacht darf wohl geäußert werden, dass in Österreich die „gesunden” ländlichen Maßstäbe noch zusätzlich idealisiert und auf Verhältnisse angewendet werden, für die sie eigentlich nicht taugen – etwa wenn die Oma in der Dreizimmerwohnung von der berufstätigen Schwiegertochter mitversorgt wird.
Der Druck zunehmender Alterung und wachsender Pflegebedürftigkeit, der in Deutschland auf dem Versicherungssystem lastet, ist in Österreich vor allem das Problem der Familien.
Joris Puiskens ist freier Journalist in Wien.
NEUE PFLEGEMODELLE GESUCHT
In Skandinavien geht man in Sozial- und Pflegefragen schon länger vorbildliche Wege. Was kann Österreich hier lernen?
In Schweden und Dänemark ist der Staat bereit, für Langzeitpflege gut vorzusorgen, der öffentliche Finanzierungsanteil beträgt dort 2,8 Prozent bzw. 3 Prozent. Und wie sieht es in Österreich aus? 0,7 Prozent beweisen, dass nicht im Land selbst, sondern nur in diesem Ressort eine dramatische Unterdotierung besteht. Sozialpolitik, das ist in Skandinavien Konsens, ist primär eine Frage der Verantwortung des Staates. Dass insbesondere Familien, insbesondere Frauen für (Langzeit)Pflege einspringen müssen, heißt also vor allem, dass der Staat hier seiner Verantwortung nicht nachkommt.
In Skandinavien stammen die Mittel für die Altenpflege überwiegend aus Steuereinnahmen, in Österreich müssen ihn im Wesentlichen die Betroffenen selbst aufbringen. Dass der Staat soziale Aufgaben in diesem Bereich ins Private verlagert, entspricht einer politischen Fehlentwicklung. Besonders nach Krankenaufenthalten fehlt es oft völlig an weiterer Pflege, sofern sich die Angehörigen nicht darum kümmern werden die PatientInnen in eine unbetreute Situation entlassen. In Skandinavien gibt es Modelle, die nicht Care-Leistungen vorsorglich anbieten, sondern auch eine essentielle Nachbetreuung auf Gemeindeebene bereitstellen.
Am Ende sind es neben „billigen“ PflegerInnen oft Frauen, an denen die Arbeit hängen bleibt. Luise Gubitzer, Professorin für Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien, fordert etwa ein bedingungsloses Grundeinkommen, um den Frauen mehr Wahlfreiheit zu ermöglichen, ob sie die Pflegearbeit selbst übernehmen oder nicht. Die Finanzierung von Pflegearbeit könnte wie in Skandinavien jedenfalls weg von der Familie bzw. von gut verdienenden privaten Vermittlungen gebracht werden, um derzeitige Zustände zwischen illegalisierten PflegerInnen und Ehefrauen, die ihren Job aufgeben, zu beenden.
Eine Möglichkeit wäre, einen sozialen Ausgleichsfonds einzurichten, um zu einer universellen Pflegeleistung für alle zu kommen. red