Wie geht’s, Arigona?
Mit ihrer Videobotschaft hat sie Österreich wachgerüttelt. Nun,wo die öffentlichen Sympathiebekundungen für Arigona Zogaj verebbt sind, will der Innenminister sie abschieben. Aber wer spricht im Kosovo oberösterreichisch? Von Andreas Lexer
Im Kosovo, anderthalb Stunden von Pristina entfernt, liegt Kaliqan. Selten hat ein so kleiner Ort im letzten halben Jahr mehr Aufmerksamkeit in der österreichischen Öffentlichkeit erhalten. Es ist die Heimat der Zogajs. Arigona wurde dort geboren und wird, wenn es so ausgeht wie sich der Innenminister das wünscht, dort wohl ab Juni auch wieder leben. Im letzten Haus, bevor sich die Berge erheben, die als natürliche Grenze den Kosovo von Montenegro trennen, wohnten die Zogajs, bevor die Familie vor dem Krieg in den 90-er Jahren flüchtete und bevor die serbische Armee kam und von den 180 Häusern im ganzen Dorf nur ein einziges nicht zerstörte.
Sogar die kleine Moschee in der Mitte des Ortes wurde geschändet. Sämtliche Gebäude wurden bis auf die Grundmauern niedergebrannt, auch das Haus der Zogajs. Und das ist es bis heute.
Das 60.000 Euro Konto Dzevat Zogaj sitzt heute, nachdem ihn Österreich im September abgeschoben hatte, auf den Trümmern seines Hauses, die er vor mittlerweile sieben Jahren hinter sich lassen wollte. So wie Tausende andere Kosovaren hat er versucht, sein Heil im Ausland zu suchen und der Hoffnungslosigkeit im Kosovo, wo sich die Arbeitslosenzahlen je nach Studie irgendwo zwischen vierzig und sechzig Prozent bewegen, zu entfliehen. 4.000 Mark hat er sich damals von Freunden zusammengeborgt und einem Schlepper bezahlt, der ihn über Italien auf der Ladefläche eines Lkw nach Österreich brachte.
Dort suchte Arigonas Vater um Asyl an. Und begann zu arbeiten. Und weil er – das kann man an der Art, wie er seine Kinder behandelt, durchaus feststellen – ein liebender Vater ist, der seine fünf Kinder vermisste, ließ er sie und seine Frau zwei Jahre später nachkommen – auf die gleiche Weise, auf die auch er schon gekommen ist. In Österreich sah er mehr Zukunft für sie als im Kosovo.
„Herr Zogaj ist im Mai 2001 – zwei Jahre nach dem Krieg – nach Österreich gekommen, und zwar illegal, über einen Schlepper“, sagte Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in einer Sondersitzung im vergangenen Oktober.
Für Annie Knapp von der Asylkoordination ist das eine völlig neue Argumentationslinie: „Bis jetzt war eigentlich allen klar, dass man auf legale Weise gar nicht nach Österreich kommen kann.“ Das stimmt allerdings. Ich habe es selbst versucht und im Namen der Zogajs auf der österreichischen Botschaft in Skopje einen Antrag auf Bleiberecht gestellt. Das erhält laut Auskunft der Botschaft aber nur, wer 60.000 Euro auf seinem Konto vorweisen kann. Reiche Menschen sind immer willkommen in unserem Land. Und kurzfristig einreisen darf nur, wer auch nachweisen kann, dass er dann auch wieder ausreist.
Schüssels Sündenböcke „Aber niemand, bitte, kommt unfreiwillig zu einem Schlepper, sondern man muss es wollen“, sagte Wolfgang Schüssel in seiner Rede weiter. Da kann man dem Ex-Regierungschef nur Recht geben. Denn niemand darf in unser Land, wenn er vor hat zu bleiben. Wer um ein Visum auf einer Botschaft ansucht, muss auch gleich seine Ausreise nachweisen. Deswegen muss man Schüssel geradezu gratulieren. Er konnte endlich die rigorose Ausländerhetze der vergangenen fünfzehn Jahre rechtfertigen: Jene Sündenbock-Strategie, die für Einsparungen im Sicherheitsbereich, Versagen in der Bildungspolitik und Missmanagement im sozialen Bereich immer einen Schuldigen parat hatte: „Die Ausländer“.
Denn der ÖVP (anders als Orange und Blau, die einen großen Teil der MigrantInnen als Verbrecher abstempeln) ist es derart gelungen, alle AsylwerberInnen als Kriminelle zu stigmatisieren. Denn: Legal einreisen kannkeine/r von ihnen, seitdem Österreich von sicheren EU-Staaten umgeben ist und sie auf dem Landweg nicht nach Österreich reisen können. Dass Flüchtlinge in diesen Drittländern weder davor sicher sind, in ihre Heimat und damit in den Tod zurück geschickt zu werden, noch annähernd menschenwürdige, europäischen Standards entsprechende Zustände vorfinden, erwähnt die Politik nicht.
Aus dem Leben gerissen Während der Ex-Kanzler in einer Allianz mit den Stammtischen des Landes gegen „Ausländer“ Stimmung macht, haben diese, die Flüchtlinge, ganz andere Sorgen: die Daheimgebliebenen.
400.000 Menschen in der Diaspora versorgen anderthalb Millionen Daheimgebliebene im Kosovo über Finanzmittel, die sie nach Hause schicken. Auch Dzevat Zogaj und die vier Geschwister von Arigona werden so über die Runden gebracht. Mittlerweile haben sie außerhalb des Dorfes ein kleines Drei-Zimmer-Häuschen angemietet – um 150 Euro im Monat. Nicht wenig, wenn der Durchschnittslohn nur 200 Euro im Monat beträgt.
Bezahlt wird die Bleibe von zwei Schwestern und deren Familien, die in Österreich leben. Und von Arigona und ihrer Mutter, die jeden Groschen, den sie entbehren können, in den Kosovo schicken. Beide dürfen nicht arbeiten, denn Arigona wurde nur erlaubt, die Schule fertig zu machen. Ihre Mutter Nurie arbeitete mit ihrem Mann auf einer Geflügelfarm, bevor ihre Arbeitserlaubnis 2006 nicht verlängert wurde. Beide sind derzeit gezwungen, wie Bettlerinnen von Almosen zu leben, obwohl die Mutter liebend gern wieder arbeiten gehen würde und Arigona im Sommer mit einer Ausbildung zur Friseurin beginnen wollte.
Aus ihrem baufälligen Haus in Frankenburg, in dem nur ein einziger Holzofen ein einziges Zimmer wärmte und in dem der kalte Winterwind durchpfiff, ist Arigona mit ihrer Mutter ausgezogen. Die Familie Limbeck-Lilienau hat den zwei Frauen Quartier in einem alten Schloss gewährt. Eine Wohnung darin wurde von Freunden und Verwandten bewohnbar gemacht, Herr Limbeck-Lilienau verlangt keine Miete. „Die Geschichte der Herbergsuche zu Weihnachten hat den Baron und seine Frau sehr inspiriert“, sagt Pfarrer Josef Friedl. Ein Akt der Nächstenliebe – als Dank erntet Limbeck-Lilienau dafür Hass und Neid seiner Mitbürger. In Frankenburg auf der Tankstelle wird angeblich sein Auto nicht einmal mehr betankt.
Was Platter bereut „Die, die immer gegen uns waren, haben viele böse Gerüchte über uns verbreitet“, sagt Arigona zur derzeitigen Situation in Frankenburg. Sie hätte ein Handy um 500 Euro, hätte eine behinderte Mitschülerin gemobbt oder eine Putzfrau angespuckt, macht in ihrem Heimatdorf die Runde. „Aber das stimmt alles nicht“, sagt Arigona. Auch aufgrund dieser Anfeindungen geht es Arigona psychisch mittlerweile immer schlechter: „Ich kann oft nachts nicht schlafen“, sagt sie. „Und manchmal bekomme ich Krämpfe im Hirn und kann nicht mehr sprechen.“ Beim Psychologen war sie bereits mehrmals, aber dort will sie jetzt eigentlich nicht mehr hin: „Wenn ich über alles reden muss, wird es nur noch schlimmer.“
Mit ihren Geschwistern und ihrem Vater im Kosovo telefoniert sie so oft es geht: „Denen geht es voll schlecht“, erzählt sie mit ihrem breiten, oberösterreichischen Dialekt. „Wir haben einfach nichts dort unten: kein richtiges Haus, keine Arbeit und auch keine Zukunft!“
Noch einmal wird Arigona Zogaj die österreichischen Medien beherrschen – sie wird zum Hauptthema des heurigen Sommerlochs werden, noch ehe wir uns vom Euro-Fieber ganz erholt haben. Denn dann steht ihre Abschiebung vor der Tür, von der Innenminister Günther Platter nicht abrücken will. Denn, so wird aus dem Ministerium kolportiert: Das einzige, was Platter in dem Fall bereut, ist, dass er Arigona nicht schon viel früher abgeschoben hat.
A. Lexer ist Redakteur der Tageszeitung Österreich.